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Hitzetage so sicher wie Weihnachten
60 Prozent der Beschäftigten spüren Auswirkungen des Klimawandels – bei der Prävention ist noch Luft nach oben
Nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern schon 60 Prozent der Beschäftigten sagen in einer neuen Studie der Techniker Krankenkasse (TK), dass der Klimawandel Arbeitsplatz und Gesundheit bereits beeinflusst. Vorgestellt wurde der TK-Gesundheitsreport 2025 mit dem Titel »Macht das Wetter krank?« am Mittwoch in Berlin. Demnach leiden also nicht nur im Freien Tätige unter Hitze, sondern auch die Hälfte derjenigen, die im Innern von Gebäuden arbeiten.
Bei der Befragung von 992 Beschäftigten verschiedener Branchen kam auch heraus, dass sich fast 70 Prozent große Sorgen wegen möglicher Auswirkungen des Klimawandels auf ihren Arbeitsalltag machen. »Es gibt Zukunftsängste, und langfristig leidet die psychische Gesundheit«, erläutert Fabian Krapf vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG), unter dessen Leitung die Befragung erfolgte, mögliche Folgen.
Insgesamt seien die Ergebnisse ambivalent: Einerseits war zu erwarten, dass die Sorgen besonders jene betreffen, die entweder im Freien arbeiten oder/und dabei körperlich aktiv sind. Andererseits ist auch jeder Zweite aus dem Innenbereich etwa durch Hitzetage eingeschränkt, ebenso wie fast ein Drittel der körperlich Arbeitenden. In der Folge sinkt die Produktivität, langfristig können sich depressive Symptome verstärken. Krapf führt weitere Folgen des Klimawandels an: Das wären technologische Sprünge, vielleicht notwendig, um im Klimawandel als Unternehmen zu bestehen, aber für Beschäftigte unter Umständen auch bedrohlich. »Hier kann die Frage aufkommen, ob die eigenen Qualifikation überhaupt noch zählt, es kann Jobangst entstehen.«
Im Vergleich ist das ganze Thema für die Arbeitgeberseite noch das geringere der Probleme: 39 Prozent der Managementvertreter spüren Klimawandelfolgen auch für das eigene Unternehmen. Bisher hat auch nur ein kleiner Teil der befragten Unternehmen schon Maßnahmen ergriffen, um negativen Folgen vorzubeugen. Als Hindernisse genannt wurden dafür hohe Kosten, ein hoher bürokratischer und organisatorischer Aufwand, aber auch, dass klare gesetzliche Vorgaben fehlten.
Jedoch haben Beschäftigte wegen der deutlicheren Auswirkungen von Hitzetagen und Extremwetter auf ihr Wohlbefinden durchaus Vorstellungen davon, was ihre Chefetage hier leisten sollte. Sie wünschen sich, dass bauliche Anpassungen erfolgen, Klimaanlagen installiert oder schattige Ecken eingerichtet werden. Auch sollten die Arbeitszeiten variabler gestaltet werden, indem zum Beispiel früher am Tag begonnen wird.
Die Baubranche ist hier schon länger unterwegs. Die Unternehmen merken auch, dass die Hitzetage in jedem Jahr garantiert kommen: »Das ist schon wie Weihnachten«, erläutert Frank Werner von der Berufsgenossenschaft Bau die Situation in Sachen Prävention in diesem Sektor. »Vermutlich sind wir mit der Zahl der jährlichen Hitzetage auch erst am Anfang«, sagt er. »Die Branche weiß das. Und Winter und Frühjahr sind gute Zeiten dafür, konkrete Maßnahmen vorzubereiten.«
Zum Beispiel sollte Schattenpavillons für manche Arbeitsplätze auf dem Bau nicht erst ad hoc aus dem Baumarkt geholt, sondern vorgehalten werden. Neben technischen Mitteln oder UV-Schutzcreme sei noch etwas anderes sehr wichtig: »Unterweisen! Der Kollege achtet auf den Kollegen – wenn sich bestimmte Symptome zeigen, ab in den Schatten und den Rettungsdienst rufen«, erläutert Diplomingenieur Werner. Die Berufsgenossenschaft stelle jede Menge Info-Material kostenlos bereit. Handlungshilfen gebe es auch zu Extremwetterereignissen. Darin ginge es etwa darum, was bei Überschwemmungen von Baustellen zu tun ist, wenn Chemikalien ins Wasser gelangen.
In ihrem Gesundheitsreport hat die TK wie üblich auch die Fehltage und Arzneimittelverordnungen mit Routinedaten der bei ihr versicherten sechs Millionen Erwerbspersonen ausgewertet. Hier wurde die Häufigkeit von Krankschreibungen mit den Hitzetagen des Jahres 2024 abgeglichen. Angeschaut wurden jene 10 Prozent der Kalendertage, an denen es am wärmsten war. Am Ende zeigten sich insgesamt 16 Diagnosen, die an den heißen Tagen und an mehreren Tagen in Folge mehr als doppelt so häufig auftraten wie im Durchschnitt. Nicht verwunderlich landeten auf den ersten Plätzen Hitzschlag und Sonnenstich, Sonnenbrand, Insektenstiche, Volumenmangel (was starken Flüssigkeitsverlust meint, hier vor allem durch die Kombination von hohen Temperaturen und zu wenig Trinken), aber auch Wundinfektionen. Ebensowenig überrascht es, dass im Baugewerbe vor allem Männer einen Hitzschlag erleiden. Aber für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen wird eben registriert, dass sich hier im Sommer die Kreislaufprobleme häufen.
Zu diesen Auffälligkeiten hinzu kommt, dass Erschöpfung und mangelnde Konzentrationsfähigkeit nicht unbedingt zu Krankmeldungen führen. Auch wenn die Wirkungen von Hitzetagen den Gesamtkrankenstand nur wenig beeinflussen, besteht in allen Branchen Handlungsbedarf bei der Prävention.
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