Massenvernichtungswaffen im Irak-Krieg?
»New York Times«: Bislang keine B- oder C-Waffen identifiziert
Die Gefahr, dass am Ende doch noch Massenvernichtungswaffen in Irak eingesetzt werden - möglicherweise auch, wie von Verteidigungsminister Rumsfeld erwogen, von den USA - ist indes noch nicht gebannt. Fest steht: Irak besaß eine größere Anzahl solcher Waffen und die beiden Invasoren gelten nicht nur als Atommächte. Zwar bleiben viele Informationen geheim oder beruhen auf Vermutungen, trotzdem ergibt sich ein beängstigendes Bild vom globalen Vernichtungspotenzial - und der Bereitschaft, es trotz völkerrechtlicher Verbote anzuwenden.
Atomare Waffen
Irak hatte trotz seiner Mitgliedschaft im Kernwaffensperrvertrag bis 1991 illegal an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet. Unter Aufsicht der IAEA wurden nach dem Golfkrieg jedoch alle militärischen Nuklearanlagen liquidiert und das waffenfähige Spaltmaterial beseitigt. Bis zu ihrem Abzug unmittelbar vor Beginn des jetzigen Krieges fanden die Waffenkontrolleure keinen Beweis für die Wiederaufnahme des irakischen Atomwaffenprogramms.
Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI existieren auf der Welt gegenwärtig rund 36800 nukleare Sprengköpfe. 17150 davon gelten als operativ einsetzbar. Mindestens acht Staaten verfügen über Kernwaffen. Mehr als 93 Prozent aller Atomwaffen lagern in den Arsenalen der USA und Russlands. Entsprechend ihrem Reduzierungsvertrag von Mai 2002 soll innerhalb von zehn Jahren die Zahl der strategischen Kernwaffen auf je 1700 bis 2200 verringert werden. Darüber hinaus besitzen beide Staaten tausende taktische Atomwaffen wie Kernsprengköpfe für Kurzstreckenraketen, Artilleriemunition und Nuklearminen. Die USA arbeiten an der Entwicklung neuartiger bunkerbrechender Kernwaffen und haben in ihrer geänderten Nuklearstrategie den Ersteinsatz atomarer Waffen ausdrücklich vorgesehen. Frankreichs »Force de Frappe« besteht aus etwa 350 Sprengköpfen, Chinas Nuklearpotenzial aus 400 Sprengköpfen. Der US-amerikanische Irakkriegspartner Großbritannien besitzt bis zu 200 zumeist auf Trident-II-U-Booten stationierte Nuklearwaffen.
Indien und der regionale Rivale Pakistan sind seit ihren Kernwaffentests im Mai 1998 de facto ebenfalls Nuklearmächte, wenn auch bisher mit relativ geringen Potenzialen: Indien (nach Angaben des Bulletin of the Atomic Scientists) 45 bis 95 und Pakistan 30 bis 52. Israels Atomwaffenarsenal wird auf über 200 nukleare Sprengköpfe geschätzt. Die KDVR kann nach Experteneinschätzung kurzfristig 6 und, nachdem ein stillgelegter Kernreaktor wieder angefahren wurde, künftig bis zu 12 Sprengköpfe pro Jahr herstellen. Spekulationen über mögliche atomare Ambitionen kursieren auch im Hinblick auf Algerien, Iran, Libyen und Syrien, allerdings ohne Beweise.
Chemische Waffen
Die Gesamtmenge deklarierter chemischer Waffen gibt die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag mit 70000 Tonnen an. Davon wurden entsprechend der Chemiewaffenkonvention bisher 6880 Tonnen Giftstoffe und mehr als 2 Millionen Stück Munition vernichtet. Den Besitz von C-Waffen haben Russland, die USA, Indien und Südkorea gemeldet. Produktionsstätten für C-Waffen befinden sich außerdem in China, Frankreich, Großbritannien und Japan. Darüber hinaus lagern in rund zehn Staaten Chemiewaffen aus vergangenen Kriegen. Trotz erreichter Erfolge gibt es bei der Vernichtung der Waffenbestände Verzögerungen. Indien und die USA haben zwar fristgemäß 20 Prozent ihrer Arsenale vernichtet. Washington wird aber wegen technischer Schwierigkeiten eine Verlängerung für die endgültige Beseitigung der ehemals etwa 35000 Tonnen über das Jahr 2007 hinaus beantragen. Gleichzeitig arbeiten die USA entgegen dem C-Waffenverbot an der Entwicklung so genannter nichttödlicher Chemiewaffen wie Betäubungsmittel und psychoaktive Substanzen, die gegnerische Truppen, aber auch Zivilisten handlungsunfähig machen. Verteidigungsminister Rumsfeld kündigte bereits im Vorfeld an, derartige Waffen auch im Irak-Krieg anzuwenden.
Russland hat vor allem auf Grund finanzieller Probleme mit der Beseitigung seiner insgesamt 40000 Tonnen Giftstoffe erst kürzlich begonnen. Neben den gemeldeten Staaten stehen mehrere Staaten im Verdacht, geheime Giftgasvorräte zu besitzen bzw. Chemiewaffenprogramme zu unterhalten. Das Washingtoner Henry L. Stimson Center zählt dazu Ägypten, Äthiopien, China, Iran, Israel, Libyen, Myanmar, KDVR, Pakistan, Sudan, Syrien, Taiwan, Vietnam und Serbien-Montenegro.
Während gegenüber diesen Staaten keine eindeutigen Beweise vorliegen, fanden UNO-Kontrolleure in Irak große Mengen chemischer Kampfstoffe. Bagdad hatte bereits im Krieg gegen Iran wie auch gegen die eigene kurdische Bevölkerung Giftgas eingesetzt. Später wurden die Arsenale teilweise unter internationaler Aufsicht beseitigt, aber bis zuletzt konnte der Verdacht auf noch vorhandene Bestände nicht ausgeräumt werden.
Biologische Waffen
Die 1972 vereinbarte Biowaffenkonvention ächtet den Besitz, die Herstellung und Verwendung von biologischen Kampfstoffen. Da das Abkommen jedoch über kein Kontrollsystem verfügt, tauchen immer wieder Vermutungen über die illegale Entwicklung verbotener Krankheitserreger auf. So verletzte das Apartheidregime in Südafrika mit dem so genannten »Project Coast« zur Herstellung von Giften gegen die schwarze Bevölkerung seine Verpflichtungen aus der Konvention. Russland hat sowjetische Verstöße gegen das Biowaffenverbot später eingestanden.
Unklar ist, ob Irak noch über B-Waffen verfügt. Zu Beginn des Golfkrieges 1991 besaß Bagdad in Bomben abgefüllte Krankheitserreger und mit Bio-Kampfstoffen ausgerüstete Sprengköpfe für Mittelstreckenraketen. Zwar wurden große Mengen beseitigt, doch hatten die UNO-Kontrolleure bis zu ihrem Abzug auch keine eindeutigen Nachweise für die behauptete vollständige Vernichtung waffenfähiger biologischer Substanzen.
Medienberichten zufolge betreiben die USA ein umfangreiches Biowaffenprogramm, das nach Meinung vieler Experten gegen das Verbot verstößt. Das Monterey Institute of International Studies in Kalifornien vermutet bei folgenden weiteren Staaten geheime Biowaffenprogramme: Algerien, Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Libyen, KDVR, Kuba, Pakistan, Sudan, Syrien und Taiwan.
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