Das Exzentrische und das Exotische
Auskünfte über ein selbstbestimmtes Leben: Georgia van der Rohe
Die Überschrift ist gut gewählt, denn die Hauptperson dieser Selbstbeschreibung setzte immer durch, was sie wollte. Sie gab sich eigenhändig den Namen, unter dem sie bekannt werden sollte. Sie fälschte den Pass, um zehn Jahre jünger zu erscheinen. Weil sie kein Geld hatte, um Zugfahrten zu Vorsprechproben und Engagements zu bezahlen, verstellte sie sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Amerikanerin und nahm ohne Fahrkarte im Erste-Klasse-Abteil Platz. Weder Krieg noch Schicksalsschläge konnten dieser Frau auf Dauer etwas antun. Einer gescheiterten Ehe - mit dem Regensburger und Mannheimer Intendanten Fritz Herterich - entzog sie sich. Sie setzte durch, trotz wechselnder Schauspielengagements ihre beiden Kinder zu behalten. Als Betonung ihrer Selbstständigkeit verzichtete sie auf Unterhaltszahlungen ihres Mannes. Als eine der Ersten brachte sie ihr zweites Kind mit der Read-Atemtechnik zur Welt - komplett schmerzfrei wäre die Prozedur gewesen, schreibt sie, wenn der behandelnde Gynäkologe ihr nicht aus Routine Tabletten gereicht hätte. Mutmaßlich die erste Frau ist sie, die ihr Kind mit Sonnenbrille gebar; das Licht war zu hell.
Georgia van der Rohe gibt viele Beispiele dafür, wie exzentrisch sie war. Etwa wie sie vor ihren Freundinnen mit ihrem neuen Verehrer prahlte (es war der weltgewandte Mies, der deshalb als Freund durchgehen konnte, weil er als Familienvater nicht in Erscheinung trat). Oder wie sie aus dem Bauch heraus Arbeitsstellen annahm, sie wieder verließ, sich kurzerhand nach Amerika aufmachte und wieder zurückkehrte. Ihre Exzentrik äußert sich auch darin, zwar der Verpflichtung Folge zu leisten, vor dem Wachpersonal des Konzentrationslagers Buchenwald zu spielen, das anschließende gemeinsame Abendessen aber zu verweigern. Im fortgeschrittenen Alter von 40 Jahren lernt sie von der Pike auf den Beruf einer Filmregisseurin und bereichert das Genre des Künstlerporträts um exquisite Beiträge über Paul Klee, Matthias Grünewald, Wassily Kandinsky und Mies van der Rohe.
Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt sicherlich, wie sie die Männer auswählte, die ihre Liebhaber werden sollten. Nichts da vom schmusigen Kätzchen, das lockt und verführt werden will. Um die Besetzungscouch - die berühmt-berüchtigte Spielwiese, die jungen Schauspielerinnen Engagements verschaffen soll - macht sie einen Bogen. Sie selbst bestimmt, mit wem sie sich einlässt. Mit Piscator eben nicht. Aber mit anderen Kollegen, einem amerikanischen Offizier, dem Fotografen Walter Peterhans. Lebenslanger Liebhaber ist ihr Felix Klee, der Sohn des berühmten Malers. Mit ihm hat sie im Geheimen einen Sohn, den Felix erst nach dem Tode seiner Frau und Georgias Mann als seinen Sohn akzeptiert. Noch im hohen Alter von 71 Jahren hat sie einen Liebhaber, einen geheimnisvollen deutschen Diplomaten, dessen Identität nicht gelüftet wird.
Die Lektüre solch eines Lebens macht natürlich Mut, das eigene auch wild und offensiv zu leben. In dieser Hinsicht weist das Buch enorme Stärken auf. Etwas enttäuscht wird derjenige sein, der aus Georgia van der Rohes Perspektive Analysen ihrer Zeit und Porträts ihrer Zeitgenossen erwartet. Zwar ist sie vielen herausragenden Personen begegnet, Heinz Berggruen, Jean Dubuffet, Gustav Gründgens, Marc Chagall, sie hat Louis Armstrong live und den langjährigen Münchner Oberbügermeister Christian Ude als Kind gesehen. Aber wie eng und herzlich die Zusammentreffen auch immer gewesen sein mögen, sie erscheinen lediglich als Markierungspunkte eines schnell weiter ziehenden Lebensstromes. Namen werden genannt und durch neue ersetzt, ihr Funkeln verleiht derjenigen, die sie als Bekannte nennen darf, auch einen hellen Schimmer. Wer sich Sittengemälde aus Weimar, Nazi-Zeit, Nachkriegsdeutschland oder der langen, langen Zeit danach erhofft, wird ebenfalls nicht sonderlich fündig in diesem Buch. Atemlos sind Erlebnisse aneinander gereiht, mit den Episoden fallen Schlaglichter allenfalls auf das Fremde, das Exotische. Etwa auf die Wohnungssuche in New York: Nur bestimmte Blöcke in Manhattan sind standesgemäß; woanders fragt man gar nicht. Balkons sind lebensgefährlich wegen der Einbrecher. Das »social life« ist atemberaubend, aber wenn man krank ist, kann man niemanden anrufen, der einem vielleicht Essen in die Wohnung bringt. Aus China bringt sie Geschichten über weit verbreitete Homosexualität in studentischen Gemeinschaftsunterkünften mit, die aber einem späteren heterosexuellen Familienleben nicht im Wege stünden.
Auch über Mies van der Rohe findet sich weniger Erhellendes als gedacht. Er war ein Schwerenöter, hat vermutlich ein Kind in Rumänien; war ein glänzender Unterhalter, eine elegante Erscheinung, aber auch ein Trinker. Als Vater war er fehlbesetzt; erst in seinen letzten drei Jahren finden er und seine Tochter zu einem engen Verhältnis. Hätte Georgia van der Rohe zu guter Letzt nicht doch noch einen Film über ihren Vater gemacht, dann erführe man in diesem Buch kaum etwas über den Architekten Mies van der Rohe. Aber, das muss man sich klarmachen, dies ist kein Buch über Mies. Auch keines über das letzte Jahrhundert. Es ist die Lebensgeschichte einer Person. Und als solche dann doch aufregend, spannend und schillernd. Vor allem weil sie anregt, der eigenen Intuition zu vertrauen und sich den Teufel um Konventionen zu scheren.
Georgia van der Rohe: La donna e mobile. Mein bedingungsloses Leben. Aufbau-Verlag, 381 Seiten, brosch. 49,90 DM.
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