Verschleppt, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen

Diakonisches Werk geht mit TV-Spot an die Öffentlichkeit

  • Larissa Schulz-Trieglaff
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 500000 Frauen werden jährlich von Ost- nach Westeuropa verschleppt und hier zur Prostitution gezwungen. Das Diakonische Werk stellte gestern in Berlin einen TV-Spot vor, der zur Unterstützung der misshandelten Frauen aufruft.
Krystina - sie ist vielleicht 13 Jahre alt - spielt mit anderen Mädchen auf dem Hof einer Mietskaserne, bis sie von einer harten Frauenstimme gerufen wird. Sie geht in die Wohnung, setzt sich vor eine Spiegelkommode. Während sie von der Frau geschminkt wird, sitzt nebenan ein älterer Mann, der sich den Schlips öffnet und eine Zigarre raucht. Krystina schaut mit versteinertem Gesicht in den Spiegel. Prostitution und Menschenhandel - Was geht uns das an? Mit dieser Frage endet der TV-Spot, den das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Auftrag gegeben hat. Produziert wurde er von Eric Moss aus München. In Kino und Fernsehen soll er laufen, »um Spendengelder für die Beratungsstellen zu mobilisieren«, sagte Diakonie-Präsident Jürgen Gohde gestern vor der Presse. Denn der Handel mit Frauen und Mädchen hat in den vergangenen Jahren erschreckend zugenommen. Frauen - vor allen Dingen aus Osteuropa - werden nach Deutschland gelockt, von den beteiligten Zuhältern vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Die Mehrzahl der Opfer stammt aus Moldawien, Russland, der Ukraine, Rumänien, Bulgarien oder Polen. »Unser Land gehört leider zu den Hauptzielländern und zentralen Durchgangsstationen des internationalen Menschenhandels«, sagte Jürgen Gohde. Ungefähr 500000 Frauen würden jährlich von Ost- nach Westeuropa verschleppt. »Das entspricht ziemlich genau der gesamten weiblichen Bevölkerung einer Großstadt wie Köln«, so der Diakonie-Präsident. Die Frauen kommen aus den ärmsten Regionen, verlockend sind daher die Aussichten auf einen Job in Deutschland. So ließ sich auch die 19-jährige Natascha, die aus einem kleinen Dorf bei Minsk in Weißrussland stammt, von einer Anzeige beeindrucken, in der ihr eine Arbeit als Kellnerin angeboten wurde. »Das war die Chance«, sagte Natascha, »ich wollte für eine gewissen Zeit nach Deutschland gehen und das nötige Geld verdienen, um meine Familie unterstützen zu können«. Sie unterschrieb einen Vertrag, zahlte 3000 Dollar für Vermittlung, Organisation und Reise. In Deutschland wurde sie von zwei türkischen Männern empfangen, vergewaltigt und in einen Club gebracht, in dem sie zur Prostitution gezwungen wurde. Die Frauen werden abgeschottet und unter Druck gesetzt, ihnen wird der Pass weggenommen, sie sprechen kein Wort Deutsch. »Wir kommen nur schwer an diese Frauen heran«, sagte Jutta Geißler-Hehlke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission, die sich um die Opfer des Menschenhandels kümmert. Die Hälfte der Kontakte kämen über die Polizei oder das Milieu zustande, die andere Hälfte über Krankenhäuser, Freier oder Pfarrer. Natascha wurde von der Polizei befreit und kam schließlich zur Mitternachtsmission, die sich um sie kümmerte. Da sich die Polizei eher auf potenzielle Terroristen konzentriert als auf Menschenhändler, kommen nur wenige Täter auf die Anklagebank. Der Lagebericht des Bundeskriminalamtes hat im Jahr 2001 nur 987 Opfer erfasst, in 273 Fällern wurde gegen die Täter ermittelt. Oftmals würden die aufgegriffenen Frauen nicht als Zwangsprostituierte erkannt werden. Dafür werde dann wegen unerlaubten Aufenthaltes und unerlaubter Erwerbstätigkeit gegen sie ermittelt, sagte Gohde. »Und dann kommen sie in Abschiebehaft.« Solange die Frauen in Deutschland sind, können sich die etwa 40 Beratungsstellen, die es hier gibt, um die Opfer kümmern. »Wie es mit ihnen in ihren Heimatländern weitergeht - das allerdings erfahren wir nicht«, sagte Geißler-Hehlke. »Zuhause kann ich keinem erzählen, was mir in Deutschland passiert ist«, so Natascha. Und genau das ist ein großes Problem: Die schrecklichen Erfahrungen sprechen sich nicht herum, daher fallen immer mehr junge Frauen auf die Anzeigen herein. »In Osteuropa interessiert sich niemand dafür«, sagte die Mitarbeiterin der Mitternachtsmission. Frauen seien wertlos, erst recht wenn sie arm sind. Obwohl die Osteuropäerinnen, die nach Deutschland geschleust werden, unbedingt Hilfe benötigen, erhalten die Beratungsstellen keine staatlichen Mittel: Die Mitternachtsmission finanziert sich überwiegend aus Spenden, bei Mimikry, einer Beratungsstelle in München, wurde soeben eine Stelle gestrichen. »Mit den übrigen zwei Planstellen ist unsere Arbeit kaum machbar«, sagte Heike Schütte, Mitarbeiterin bei Mimikry. Zudem würden sie Geld für Dolmetscherinnen und Mediatorinnen benötigen. »Doch die Menschen hier denken, der Frauenhandel geht sie nichts an«, sagte Geißler-Hehlke. Um diese Einstellung zu ändern und um Spenden zu sammeln, wird jetzt der TV-Spot durch Kino und Fernsehen kursieren. Eric Moss, der Produzent, und sein Team, haben umsonst oder für wenig Geld gearbeitet. Mit Erfolg, denn das Bild von Krystina geht einem so schnell nicht aus dem Kopf.
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