• Sport
  • Rezension: DHfK, Leipzig 1950 - 1990

Von der Gründung bis zum Abwicklungs-Verbrechen

Personalvorstände schätzen Spitzenleistungs-Know-how

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 3 Min.
Die DHfK gehört weltweit zu den drei Spitzeninstitutionen ihrer Art... Sie hat ganz Außerordentliches für Körperkultur und Sport geleistet, und sie hat die Fähigkeit, dies auch in der Zukunft zu tun. Sie zu schließen, wäre ein Verbrechen.«
So Prof. Eric F. Broom, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Körperkultur und Sport (ISCPES) am 12.12. 1990 in einem Protestschreiben, das unter anderem auch an den Sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf ging. Doch es blieb dabei, was das Sächsische Kabinett tags zuvor, teilweise unter Druck, teilweise mit Rückendeckung der Herren Kohl und Schäuble in Bonn, beschlossen hatte: Die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig wird abgewickelt.

Prof. Broom irrte nicht
Dass ein international so renommierter Wissenschaftler wie Broom (University British Columbia, Vancouver) die Schließung der DHfK damals mit einem Verbrechen verglich, könnte heute vielleicht als eine erregte Affektäußerung abgetan werden. Wer sich indes die von Karsten Schumann beim Deutschen Sportverlag in Köln herausgegebene, druckfrische DHfK-Geschichte (seit 13. September auf dem Markt) zu Gemüte zieht, wird eines Besseren belehrt. Diese Abwicklung war zum einen ein Attentat auf die Sportwissenschaft und -kultur, zum anderen ein Gaunerstück einigungskrimineller Winkeladvokaten.
Doch die »Chronologie einer weltbekannten Sporthochschule und das abrupte Ende ihrer Geschichte«, wie der Buch-Untertitel lautet, dokumentiert natürlich mehr als den Schluss. Nämlich alles, vom Anfang an. Die Gliederung in die sieben Kapitel hat Schumann seinem DHfK-historischen Erstling entlehnt, der 2000 bei Spotless erschien. Das Datenmaterial ist indes stark erweitert, den historischen Zeitabschnitten sind erläuternde Textkapitel vorangestellt und in einem 50-seitigen Anhang Dokumente beigegeben. Er hoffe auf große Resonanz, schreibt der Herausgeber im Vorwort. Nun, die erste Resonanz war eher ein Ansturm - allerdings hatte der Verlag bei der Premierevorstellung anlässlich der Jubiläumsveranstaltung 50 Jahre DHfK-Fernstudium letzten Sonnabend in Leipzig ein Heimspiel...
Herausgeber Karsten Schumann (Jahrgang 1963) begann mit seiner Dissertation (eine empirisch-theoretische Studie zum DDR-Leistungssport) als DHfK-Forschungsstudent im Herbst 1989 und verteidigte sie dann 1993 an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig, dem DHfK-Abwicklungsrestbestand. Nicht zuletzt deshalb, weil er in der bundesrepublikanischen Sportwissenschaft keinen Job bekam, erweiterte er sein Tätigkeitsfeld. So gründete er zusammen mit Ronny Garcia die Gesellschaft für leistungsorientierte Führung ELITE. Kern der Geschäftstätigkeit ist, durch Beratung, Projekte, Seminare und Veröffentlichungen »Spitzenleistungen in den verschiedenen Bereichen menschlicher Tätigkeit zu fördern und zu optimieren«.
Schumann ist sich sicher, dass die Genesis sportlicher Spitzenleistungen »ebenso für andere Tätigkeitsbereiche des Menschen interessant ist«. Und er befindet sich damit in wenn vielleicht auch nicht guter, so doch gleichgesinnter Gesellschaft mit der Personalvorständen von Banken, Versicherungen und Industriekonzernen. Er und sein Compagnon Garcia sehen die DHfK deshalb durchaus unter dem Gesichtswinkel einer Führungsakademie. Und folgerichtig kümmern sie sich um diese DDR-Kaderschmiede über den historischen Aspekt hinaus, nämlich auch in Bezug aufs wissenschaftliche Erbe. So geben sie seit gut zwei Jahren beispielsweise die Schriftenreihe »Sport. Leistung. Persönlichkeit.« heraus (GNN Verlag). Autoren sind vorzugsweise nach 1990 abgewickelte DHfK-Hochschullehrer.

Aus Köln zurück nach Leipzig
Bisher verwies Schumann gern augenzwinkernd darauf, dass sie das alles von Köln aus täten, also aus der Stadt der Deutschen Sporthochschule, deren nationale wie internationale Ambitionen auf eine faktische DHfK-Nachfolge sich in Luft aufgelöst haben. Nun bereitet die Gesellschaft ELITE allerdings schon alles für den Umzug nach Leipzig vor. »Zurück zu den Wurzeln«, schmunzelt Karsten Schumann. Wobei der Wechsel auch atmosphärische Gründe habe. Im Zuge der Olympia-Bewerbung beginne sich auch das offizielle Nachwende-Leipzig erstmalig nach 1990 in größerem Umfange zu den sportwissenschaftlichen Leistungen zu bekennen, stellt Schumann erfreut fest.

DHfK, Leipzig 1950 - 1990, Karsten Schumann (Hrsg.), DSV - Deutscher Sportverlag, Köln, 2003, 216 S., brosch., 9,90 EUR , ISBN 3-9808147-4-2.
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