Dubceks Fußspitzen blieben

»Bilder, die lügen« im Deutschen Historischen Museum

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Nun ist die Ausstellung »Bilder, die lügen« also auch in Berlin. 1998 war sie bereits im Bonner Haus der Geschichte gezeigt worden, später in Leipzig und Frankfurt(Main). Zur Eröffnung war der Fall des inszenierenden Dokumentaristen Michael Born noch recht frisch. Der TV-Journalist nähte für seine Beiträge eigenhändig Ku-Klux-Klan-Kapuzen oder klebte falschen Jägern falsche Bärte an, damit sie als ganz echte Meister der Jagd auf den Schirm kamen. Der Fall Born erlaubte einen Blick in die Bildproduktion bei Massenmedien und führte zu massivem Vertrauensverlust. Man mochte sich damals schon fragen, warum der Glaube an die Bilder noch so groß war. Wollte man sich nicht mehr an die »Waffe Bild« im Kalten Krieg erinnern? War der Auftritt von »Krankenschwester Najirah«, die - Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA und zum Zeitpunkt der irakischen Invasion Kuwaits gar nicht in ihrer Heimat - eindrucksvoll von irakischen Soldaten zu erzählen wusste, wie sie Babys aus Brutkästen in kuwaitischen Krankenhäusern gerissen hätten, schon vergessen? Nun, Born, das Bild von Born als einem Bildfälscher, sorgte für einen Eklat. Und die Ausstellung »Bilder, die lügen« wirkte wie ein Korrektiv. In ihr spiegelte sich der Wunsch, Aufrichtigkeit wiederherzustellen und - endlich! - einer breiten Öffentlichkeit Mittel in die Hand zu geben, die bunten Erbsen des News-Basars in gute und weniger gute zu scheiden. Heute, fünf Jahre später, wirkt die Ausstellung merkwürdig hausbacken. Natürlich stimmt der Befund noch immer, dass unsere Gesellschaft eine bildbasierte ist. Natürlich besteht noch immer die Notwendigkeit, die Sinne für Manipulationen am Bild zu schärfen. Eine »Schule des Sehens«, eine »Praxis der Bildkritik« anzuregen, ist wichtig und richtig; sie wird aber wohlfeil, wenn sie folgenlos bleibt. Natürlich kann man sich auch der Überlegung der Ausstellungsmacher anschließen, dass es drei wesentliche Manipulationsmechanismen gibt: direkte Eingriffe ins Bild - Retusche, Montagen, Herausschnitte - , verfälschende Bildunterschriften und das gestellte Bild. Doch man sollte noch eine vierte hinzufügen: die Auswahl dessen, was für nachrichtenwürdig und nachrichtenfähig erachtet wird. Aber hier verließe die Sache den vermeintlich neutralen Boden der technischen Bildbearbeitung und würde politisch. Doch das will die Schau offenbar nicht. Vielmehr ist sie Bilderbuch mal mehr dilettantischer, mal gewitzterer, aber stets gut abgelagerter Formen von Bildkorrektur. Geordnet nach Buchstaben (von A, wie Aktuelles über I, wie Ikonen und R, wie Rufmord bis zu Z, wie Zukunft) wird demonstriert, wie zu einer Nachricht das passende Bild erstellt wird. Etwa wird bei einem Bericht über das Massaker von Luxor eine Wasserlache rot gefärbt. Bei einem anderen sind einem Mafia-Opfer Einschusslöcher in den Rücken retuschiert. Als die »Financial Times« im Wahlkampf 1998 zeigen wollte, wie stark Helmut Kohl der Wind ins Gesicht blies, brachte sie das berühmte Eierwerfer-Foto von 1991 - behauptete aber, das Bild sei aktuell. Führermythen werden dekonstruiert: Mussolini etwa konnte - beritten und mit erhobenem Schwert - nur in der Alexander-Pose abgelichtet werden, weil ein Diener das Pferd am Zügel führte. Legendär das Verschwinden missliebiger Revolutionäre von Fotos. Trotzki und Kamenew werden so von Lenins Seite weggeätzt; ein paar Jahrzehnte später trifft das gleiche Schicksal den Auftraggeber Stalin. Entweder schludrig oder höchst subversiv arbeitete ein Virtuose mit Schere und Pinsel, der zwar Alexander Dubcek aus einem Foto entfernte, seine Schuhspitzen aber stehen ließ. Nicht Fälschung, sondern Dokument ist das Fresko von Adolf Riedlin in den Freiburger Gaswerken. 1937 schuf er ein Wandbild marschierender Arbeiter. Der Führer der Kolonne erhob den Arm zum Hitlergruß. Im Mai 1945 soll dann das Bild erhalten bleiben, die Geste aber verschwinden - der Maler wird gefunden und muss den Arbeiter-Arm senken. Es werden aber auch neue Manipulationstechniken wie »Morphing« gezeigt - Joschka Fischer verwandelt sich digital in Kofi Annan. In der »Bluebox« darf man sich zu Ulrich Wickert setzen. Doch zeigt die Ausstellung keine Wege, Bilder zu prüfen. Dazu müsste man Zugang zu den Originalen haben. Zum Film, wie er belichtet wurde, zur noch unbearbeiteten Bilddatei. Eine visuelle Clearingstelle wäre vonnöten. Momentan ist der Nutzer auf den Glauben darauf angewiesen - oder er muss zum Hobby-Detektiv werden. Einer Aussage zum gegenwärtig beliebtesten Areal der getätigten oder unterstellten Manipulation entzieht sich die Ausstellung schließlich ganz: Verfahren zur Authentifizierung der Gesichter und Stimmen auf Bin-Laden-Videos oder Saddam-Tonbändern werden weder gezeigt noch geprüft. Hier wird Terrain verschenkt. Deutsches Historisches Museum, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, Berlin: Bilder, die lügen. Bis 26. Januar 2004, tägl. 10 bis 18 Uhr

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.