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Noch Luft nach oben
Matthias Duderstadt präsentiert eine Billionärs-Bibel
Ob das Büchlein (7,5 mal elf Zentimeter) wirklich die 160 Seiten hat, wie es in der Verlagsankündigung heißt, kann ich weder bestätigen noch dementieren: Es fehlt die Paginierung wie auch die Begründung, wieso man sich beim Titel aufs Englische verlegt: Ja, ja, die meisten Milliardäre sprechen diese Sprache – aber ist das die Zielgruppe? Und ja, ja, man orientierte sich sowohl bei Farbe als auch beim Format an der Mao-Bibel, jenen »Worten des Vorsitzenden Mao Tse-tung«, die in den 60er Jahren sehr populär waren. Der Eulenspiegel.Verlag hatte 2015 zur Verabschiedung des Fraktionschefs der Linken eine ähnliche Sprüchesammlung ediert: »Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi«. Da war die Schrift aber kleiner und vielleicht auch der Gehalt, doch es gab zumindest Seitenangaben. Genug der oberflächlichen Mäkelei. Vielleicht wollte der Verlag mit dem Format eine Pointe setzen, die dem Ganzen fehlte?
Matthias Duderstadt hat 75 Zitate von Superreichen genommen und gibt dazu seine Kommentare, die schon einmal für Zerstreuung und Erbauung gedient hatten, denn, so der Vorspruch, die Schrift sei bei einem geheimen Treffen der Milliardäre »als Grundlage für die zwanglosen Gespräche« verteilt worden. Sie habe »bei der illustren Gesellschaft für große Heiterkeit« gesorgt. Nun, meine Heiterkeit war bei der Lektüre gedämpft, was vermutlich nicht allein daran lag, dass sich mein Kontostand erheblich von denen der Milliardäre unterscheidet. Auch hinsichtlich der Vorstellung, was komisch ist, gehen wir wohl nicht d’accord.
Ich las, leider, alles so bierernst, wie es vermutlich der Autor auch meinte. Er nahm sich einen Spruch – sagen wir diesen von Hasso Plattner: »Soziale Gerechtigkeit bedeutet nicht Umverteilung, sondern alle am Wohlstand teilhaben zu lassen« –, und er antwortet darauf: »Die Privatisierung von Gefängnissen eröffnet ein profitables Geschäftsfeld. Allerdings ist die Quote bis jetzt äußerst unbefriedigend …« Dann folgen noch ein paar Sätze über Knäste und die Conclusio: »Wegen der erfreulich günstigen Löhne für die Strafgefangenen darf dieser Wirtschaftszweig bei international agierenden Unternehmen nicht aus dem Blickfeld geraten.«
Noch so ein Burner gefällig? »Im Vergleich mit anderen Formen der Energiegewinnung ist Atomkraft sicherer.« Auf diesen Spruch von Bill Gates reagiert Duderstadt, wie man es von einem promovierten Hochschullehrer erwartet: »Weltweit muss die Atomindustrie nicht nur erhalten werden, sondern weiter ausgebaut werden. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent gibt es zurzeit ein (!), in Südamerika gerade mal fünf Atomkraftwerke. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.« Man erkennt das Prinzip: Bei den Kommentaren handelt es sich um faktengestützte Handlungsanweisungen an seinesgleichen, also des Pseudomilliardärs D. für Gates und Genossen. In den Ohren der »normalen« Menschen soll es ironisch schellen. Aber ist Sarkasmus bereits Satire? Mir fehlt einfach die Leichtigkeit, der Witz. Anstelle des Floretts wird mit erhobenem Zeigefinger gefochten.
Die Idee ist gut, aber die Ausführung … Da gilt das Gleiche wie für meinen Kontostand – viel Luft nach oben.
Matthias Duderstadt: The Billionair’s Bible. Eulenspiegel-Verlag, 160 S., br., 10 €.
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