Der Krieg der Reichen

Thomas Piketty und Michael J. Sandel unterhalten sich über Ungerechtigkeit und Ungleichheit im Kapitalismus

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Millionärsmesse in Moskau. Auch im einstigen »Vaterland der Werktätigen« regieren die Superreichen.
Millionärsmesse in Moskau. Auch im einstigen »Vaterland der Werktätigen« regieren die Superreichen.

Man sollte mal wieder an das schlagende Zitat von Warren Buffett, dem steinalten Börsenspekulanten, erinnern: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig«, bekannte der seinerzeit 75-Jährige, »aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.« Mehr als zehn Jahre ist das her, Ende November 2006 stand es in der »New York Times« – und das Tempo, die Radikalität und die Gewalt von Habgierigen und Nimmersatten nehmen weltweit unvermindert zu.

Da kommt das »Gipfeltreffen der Superstars«, wie der Verlag diesen schmalen Gesprächsband ankündigt, gerade recht. Thomas Piketty, Ökonom aus Paris, debattiert mit Michael J. Sandel, Philosoph in Harvard – Bestsellerautor mit »Das Kapital im 21. Jahrhundert« der eine (Piketty), Bestsellerautor auch der andere mit »What money can’t buy!« (Sandel). Der Titel des Gesprächsbandes: »Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert«. Die Themen, in neun Kapitel gegliedert: wachsende soziale Ungleichheit, Klimawandel, Massenmigration, Aufstieg der Rechten, Zukunft der Linken.

Die ganzen sozialen und politischen Verwerfungen weltweit, einschließlich des Aufstiegs von Autokraten und Faschisten, seien nicht vom Himmel gefallen, sind sich beide Intellektuelle einig. Versagt haben »die Mitte-Links-Politiker«, sagt Sandel: Barack Obama, Bill Clinton, Tony Blair, Gerhard Schröder – sie ebneten den Weg, sie sorgten für wachsende Ungerechtigkeit, Wut und Empörung in weiten Kreisen, sie begünstigten den Aufstieg von Populisten wie Trump, Farage, Merz & Konsorten.

US-Präsident Obama ließ seinerzeit, 2008, die Finanzbranche retten. Dafür habe er »die gleichen Ökonomen ins Amt« berufen, »die schon unter Clinton die Finanzwirtschaft dereguliert hatten«. Und was taten sie unter Obama? »Sie retteten die Banken und überließen den gewöhnlichen Hausbesitzer sich selbst.« So Sandel. »Die Rettung der Wall Street auf Kosten des Steuerzahlers« habe einen Schatten auf Obamas Präsidentschaft geworfen. Die großen Hoffnungen auf progressive oder sozialdemokratische Politik zerplatzten. Und es entstanden zwei Protestströme: auf der einen Seite die Ocupy-Wall-Street-Bewegung und »die überraschend erfolgreiche Kandidatur von Bernie Sanders gegen Hillary Clinton«; auf der anderen Seite die Tea-Party-Bewegung und schließlich die erste Wahl von Trump ins Weiße Haus. In der Bevölkerung habe sich ein »Gefühl der Ungerechtigkeit, der Wut und Empörung« entwickelt.

Piketty stimmt Sandel zu und erläutert dann, warum die seit mehr als vier Jahrzehnten vorherrschende neoliberale Politik von linksliberalen Politikern nicht überwunden worden ist. Es sei »die Angst, von der ich selbst in meinem Buch Kapital und Ideologie gesprochen habe«, sagt Piketty, »die Angst davor, die Büchse der Pandora der Umverteilung, aber auch der Neubewertung unseres Tuns zu öffnen. Die Angst, nicht zu wissen, wo wir aufhören sollen«.

Wolle man die Mehrheit der Bevölkerung zufriedener und einverstandener mit der herrschenden Politik machen, benötigte es einen grundlegenden Wandel. »Wie lässt sich Gemeinschaftlichkeit pflegen?«, fragt Sandel. Steuerprogression, gewiss, also Wohlhabende stärker zur Kasse bitten. Reichensteuer, Spekulationssteuer, angemessene Erbschaftssteuer für ganz große Vermögen, Übergewinnsteuer (sowie die Abschaffung von Steuervermeidungskonstrukten und schärfere Kontrolle und Sanktionierung von Steuerhinterziehung im großen Stil) – also all das, was die kommende deutsche Regierung erneut ausspart.

»Würde und gegenseitige Anerkennung« seien nötig, sind sich die Gesprächspartner einig, kurz: eine solidarische Gesellschaft, um das Abdriften in den Faschismus zu verhindern. »Den Sinn für wechselseitige Verantwortung und geteilte Zugehörigkeit wecken«, fordert der Philosoph. »Wir haben angefangen«, ergänzt der Ökonom, »ein Rechtssystem aufzubauen, das im Grunde dafür gemacht ist, dass die Reichsten sich jeder Gemeinschaftspflicht entziehen können. Und dann tun wir so, als sei das ganz natürlich.« Pikettys Vorschlag: Besteuerung von Unternehmensgewinnen auf UN-Ebene. »Ich stehe für einen demokratischen, föderalen, internationalistischen Sozialismus«, bekennt der an der Pariser Elitehochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales. Und er weitet den Blick, wenn er hinzufügt, dass wir »die Frage des Vertrauens, der internationalen Gerechtigkeit und der Nord-Süd-Umverteilung« komplett ignorierten. Wie könne es da zu einer friedlicheren Welt kommen?

»Die einzige Weise, die öffentliche Meinung in den USA oder Frankreich dafür zu gewinnen«, sagt Piketty, »ist eine gezielte Besteuerung von hohen Vermögen, von großen Konzernen, die direkt zahlen.« Nur: Diese Forderung wird so lange nicht erhört und umgesetzt, solange eine politische Klasse in Regierungen drängt und gewählt wird, die in erster Linie teilhaben will am Wohlstand und somit Befehlsempfänger der wohlhabenden Klasse ist und nicht Volksvertreter, die sie noch vorgibt zu sein. Diesen Wandel in der vorherrschenden politischen Klasse sprechen die beiden Intellektuellen allerdings nicht an.

Wie lässt sich Gemeinschaftlichkeit pflegen? Durch Umverteilung, die Wohlhabende stärker zur Kasse bittet.

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»Die Stimmen für Trump oder Le Pen«, erläutert der französische Ökonom, gingen »weniger auf Migrantenströme zurück als auf Arbeitsplatzverluste«. Und der Dozent an der Harvard Law School und Mitbegründer des Kommunitarismus, der in diesem Dialog eher Stichwortgeber und Fragensteller ist, ergänzt: Es ginge nicht um »Immigration«, sondern »um das Gefühl, dass andere auf einen herabsehen. Es geht um Anerkennung. Es geht um Würde.« Gegen Ende des Buches kommen die beiden auf Jean-Jacques Rousseau und seine »Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen« (1754) zu sprechen. Das Problem sei »weniger die erste Einzäunung, das erste Stück Privateigentum«, behauptet Piketty, »als vielmehr die grenzenlose Anhäufung von Eigentum. (…) Die einen haben große Macht und die anderen verlieren die Kontrolle.«

Ein paar Anmerkungen, Erläuterungen und Hintergrundinformationen vom Verlag wären hilfreich gewesen, um interessierten aber in der akademischen Welt nicht so bewanderten Lesern und Leserinnen manche Begriffe und Zusammenhänge zu erklären. Auch der Amoklauf des zum zweiten Mal ins Weiße Haus gelangten US-Präsidenten Donald Trump, der die Welt brutal auf den Kopf stellt, ist in diesem Band noch nicht einmal erwähnt. Leider.

Thomas Piketty/ Michael J. Sandel: Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. A. d. Engl. v. Stefan Lorenzer. C.H. Beck, 160 S., geb., 20 €.

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