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  • »Leonora im Morgenlicht« im Kino

Leiden, malen, leiden

Über den unsurrealistischen Film »Leonora im Morgenlicht« über die surrealistische Malerin Leonora Carrington

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf Sexszene folgt Kunstproduktion, das ist eben so, wenn auch arg klischiert.
Auf Sexszene folgt Kunstproduktion, das ist eben so, wenn auch arg klischiert.

Auch wenn in der Zeit der Zeitenwende nur wenigen feierlich zumute ist, kann sich der Kulturbetrieb der Jubiläen nicht entziehen: Im vergangenen Jahr wurde der Surrealismus stolze 100 Jahre alt. Das heißt, die Veröffentlichung des »Surrealistischen Manifests« von André Breton, in dem die Trennung von Kunst und Leben aufgehoben werden sollte, das Unbewusste befreit, aufgeräumt mit der verlogenen bürgerlichen Kultur, liegt so lange zurück, dass von seinen Ideen keine Gefahr mehr ausgeht. Das Künstlertum bildet noch immer das reizvolle Versprechen eines erfüllten, tätigen Lebens. Aber wie man mit der lieben Kunst die gesellschaftlichen Verhältnisse aufwühlt, puh, schwere Frage.

Der Film »Leonora im Morgenlicht« des Regie-Duos Thor Klein und Lena Vurma drückt sich auffällig um Fragen von Geschichte und Gesellschaft, klammert sich an das Leiden einer einzelnen Person. Dabei erzählt er so kommod und konventionell von einer Surrealistin, dass alle politischen wie ästhetischen Verunsicherungen und Erneuerungen, die der Surrealismus bedeutete, mit diesem Film schlicht nichts zu tun haben.

Protagonistin Leonora Carrington (Olivia Vinall) kam aus sehr gutem Hause: britische Oberschicht, frühes 20. Jahrhundert, ergo keine Liebe, sondern Drill, Fantasie-Verbot, vorgeschriebene Leben, vor allem für Mädchen. Leonora spricht deswegen lieber mit Tieren als mit Familienmitgliedern, ist sich ihrer besonderen kommunikativen Befähigung sicher, was Daddy missfällt. Das alte Kindermädchen weckt zudem noch Leonoras Glauben an magische Wesen, die wie eine zweite Welt die feindselige Menschenerde bewohnen. Alle sollen bitte verstehen: Aus so jemandem muss ja eine Künstlerin werden! Aus Rache träumt Leonora später davon, wie eine (computeranimierte) Hyäne den bösen Papa zerfleischt.

Von diesen biografischen Hintergründen erfahren wir aber erst im späteren Verlauf des Films. Er setzt ein in Xilitla, im Norden Mexikos, wo Leonora ihren superreichen Landsmann Edward James (Ryan Gage) besucht, der sich dort einen surrealistischen Skulpturenpark anlegen lässt. Ein künstliches Paradies im Dschungel, aber das ändert wenig an Leonoras Traurigkeit: Stets blickt sie trist drein, redet wenig, zieht sich in ihre Gemächer zurück. Auch ihr solide wirkender Gatte, der Fotograf Chiki Weisz (István Téglás), weiß nicht weiter, sondern knipst ein bisschen rum. Die indigenen Bauhelfer vermitteln den Eindruck, Spaß zu haben an ihrer Arbeit für den britischen Kunstsammler.

Warum Leonora so traurig in Mexiko landet, können wir noch nicht so recht verstehen. Der erste Zeit- und Ortssprung in die Vergangenheit und alte Welt führt nach Paris: Leonora und der berühmte Maler Max Ernst (Alexander Scheer) lieben sich. Er ist noch verheiratet, aber das tut der Leidenschaft keinen Abbruch, genauso wenig die etwas enge Behausung. Beide haben ein Faible für Tiere, Ernst malt immer wieder neu sein Vogel-Alter Ego »Loplop«. Auf Sexszene folgt Kunstproduktion, das ist eben so, wenn auch arg klischiert. Die Befürchtung weitestgehend schlechter Dialoge – Edward betrachtet seinen Garten als »Erweiterung seiner selbst« – bewahrheitet sich: Ernst labert vom Leiden als Voraussetzung für Inspiration, ein Vortrag von André Breton in einem Salon erläutert ein paar surrealistische Grundbegriffe für die Oberstufe und macht das kraftmeierische wie vergeistigte Mackertum der Künstlermänner überdeutlich. Ein instrumentelles Verhältnis pflegen die Herren zu den von ihnen so genannten »femmes enfants«, ja, nur wird dieses Problem leider nicht so sehr entwickelt, gezeigt, sondern in einfachen Sätzen gesagt und abgehakt.

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Um Abstand zu haben von der nervigen Bohème, um frischere Luft zu atmen, ziehen Ernst und Leonora in die Ardèche, beziehungsweise kaufen da schnell ein Haus. Sie muss die Muse geben, aber der nette Max scheint um Augenhöhe bemüht zu sein. Gemälde kommen zustande. Die beiden haben bald Angst davor, dass das Leben so schön sein kann. Als Deutschland Frankreich überfällt, hilft Max Ernst sein Antifaschismus nichts und er wird von der Polizei abgeführt. Leonora verliert den Verstand, verwahrlost. Sie malt auf Wände ein Labyrinth, das sie vorher als Symbol für ihre Kindheit bestimmte. Die Malerin Remedios Varo (Cassandra Ciangherotti) schnappt sich ihre Freundin und flieht mit ihr vor den näherrückenden Nazis Richtung Franco-Spanien. Miss Carrington passiert die Grenze, bemerkt gar nicht, dass ihre Freundin zurückbleibt – Schnitt: Leonora in der Psychiatrie. Es folgen Elektroschocks, Spritzen, schlimme Bilder. Wie genau sie dort landete, wird nicht klar, dass ihre Eltern den Aufenthalt finanzieren, wird angedeutet, wie böse der Psychiater (Luis Gerardo Méndez) ist, lässt sich schwer sagen.

Für die historische Carrington folgt eine Odyssee, erst soll sie nach Südafrika ins Sanatorium, setzt sich aber in Portugal ab, gelangt dank einem Kurzzeitliebhaber über den Atlantik. Der Film überspringt das, und das ist irgendwie typisch: Die angedeutete feministische Kritik an der Kunstwelt bleibt sehr begrenzt, Faschismus und spanischer Bürgerkrieg sind nicht mal als historischer Hintergrund sonderlich wahrnehmbar, die surreale Kunst selbst erscheint eher als Deko oder Therapie-Tool, dargestellt im Anrühren von Farbe oder Pinseln von Details. Leonora jedenfalls bekommt zwar bei ihrer ersten Vernissage einen Schreikampf ob der Oberflächlichkeit ihrer Umwelt. Nachts aber empfängt sie im Wald, nach einem glimpflich verlaufenden Verkehrsunfall eine Vision und wird von oben genannter Hyäne vor ein uraltes Portal zur zauberischen Welt der Vorfahren der Indigenen geführt, wonach sie ihren eigenen Stil findet, der europäischen Surrealismus mit Mythologie-Motiven ihrer neuen Heimat verknüpft. Im Abspann sitzt sie vor einer Leinwand.

»Leonora im Morgenlicht« ist ein Film über eine bedeutende Malerin, dem es leider nicht gelingt, ihr Werk, ihre Konflikte, ihre Rolle für den Surrealismus in Bilder zu fassen, sondern der einen Leidensweg voller Künstler-Klischees zeichnet, sodass bei allem individuellen Leid, das wir sehen, der Film betulich bleibt: Arthouse-Mittelmaß, das auch nicht versucht, auf eine zeitgenössische Art surrealistisch zu sein.

»Leonora im Morgenlicht«: Deutschland, Mexiko, UK, Rumänien 2025. Regie und Buch: Thor Klein, Lena Vurma. Mit: Olivia Vinall, Alexander Scheer. 103 Min. Kinostart: 17. Juli.

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