Käse, Eis und Molke auf der Streichliste

Nordmilch entlässt über 1000 Mitarbeiter/Lukrative Standorte in Gefahr

  • Ekkehard Jänicke, Hannover
  • Lesedauer: 3 Min.
Kurze Wege und frische Ware, so das Motto der Nordmilch-Genossenschaft. Das soll sich ändern. Der Vorstand will gut gehende Standorte in Ost und West schließen, um billiger zu produzieren.
Die Zahl der Standorte werde von 21 auf 10 reduziert, verkündete die Bremer Zentrale der Nordmilch eG, die als Genossenschaft organisiert ist. Über 1000 Mitarbeiter der insgesamt 4400 seien davon betroffen. Dem gestern tagenden Gesamtbetriebsrat des Unternehmens sind allerdings Papiere der Unternehmensleitung bekannt, die besagen, dass nur drei bis fünf Standorte übrig bleiben und mindestens 1500 Beschäftigte betroffen sein sollen. Das vom Vorstand entwickelte Strategiepapier sieht die Schließung sowohl von Milch verarbeitenden Standorten als auch von Handels- und Verarbeitungsstandorten vor. Mit der Umsetzung der Pläne soll Ende November begonnen werden. Die Nordmilch ist Deutschlands größter Milchverarbeiter. 21 Molkereien in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gehören zu ihr. Hergestellt werden Käse- und Milchprodukte, Milchpulver, Butter, Eis, Molke und Spezialfuttermittel. Das Unternehmen entstand zum 1.Januar 1999 durch Fusion der norddeutschen Molkereien MZO (Oldenburg), Nordmilch (Zeven), Hansano (Isernhagen) und Bremerland (Stuhr). »Die Frische aus der Nachbarschaft« war bisher die zentrale Idee für das regionale Angebot von Milchprodukten. Das Konzept ermöglichte kurze Wege und damit ständig frische Ware. Das soll sich ändern. Als erste Standorte sollen die Nordmilch-Betriebe in Otterndorf (Kreis Cuxhaven) und Seckenhausen bei Bremen bis Ende kommenden Jahres geschlossen werden. Auch die Milchhof Magdeburg GmbH in Sachsen-Anhalt steht mit rund 90 Mitarbeitern auf der Streichliste, obwohl sie für dieses Jahr einen Rekordumsatz von 176 Millionen Euro ansteuert. Eine Strategieänderung der Genossenschaft bis 2008 sei nötig, um einen wettbewerbsfähigen Milchpreis zu erwirtschaften, so der Vorstand. Vorstandssprecher Stephan Tomat - seit Sommer im Amt - geht davon aus, dass die Nordmilch eG bis zu 100 Millionen Euro jährlich sparen muss. »Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit benötigen wir eine Effizienzsteigerung im operativen Geschäft«, so Tomat, der von der Führungsetage des Nestlé-Konzerns nach Bremen wechselte. »Er überträgt Konzepte des Share-Holder-Value der als Global Player agierenden Aktiengesellschaft auf Nordmilch«, sagte Matthias Brümmer, Mitarbeiter der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Oldenburg. Damit fasst er zusammen, was bei den Nordmilch-Mitarbeitern Tenor ist. Mit der Wut über den angekündigten Verlust ihrer Arbeitsplätze paart sich Unverständnis über die in ihren Augen unausgegorenen Pläne der Unternehmensleitung. Höhere Transportkosten und -zeiten, die die Kostenlawinen bei Energiepreiserhöhungen und Maut nicht einbeziehen sowie Einschränkung der Qualitätskontrollen im Unternehmen bei einem hoch empfindlichen Nahrungsmittel sind die Argumente gegen Tomats Pläne. Die Ursache für verpasste Entwicklungen und verschleuderte Gelder sehen sie nicht in den regionalen Standorten, sondern im Wasserkopf in der Bremer Verwaltung. Ehemalige Geschäftsführer regionaler Molkereien besetzten nach der Fusion hoch bezahlte und teilweise unkündbare Stühle im Bremer Management. Oder sie wurden so großzügig abgefunden, dass sie bis zum Rest ihrer Tage nicht mehr arbeiten müssen. Weltmarktpreise könnten nicht zum Maßstab genommen werden, betonte Matthias Brümmer. Mit Erzeugerpreisen von 11 Cent pro Kilogramm wie in Australien und Neuseeland könne Deutschland nie konkurrieren, bei Nordmilch zahle man mit 26 Cent je Kilogramm schon jetzt 2 Cent weniger als die wichtigsten Konkurrenten. Die alte Firmenleitung versuchte Landwirte und Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen, schier unmöglich in einer Branche, wo sich viele Mitarbeiter aus den Familien der Milcherzeuger rekrutieren. Der Gesamtbetriebsrat und die NGG wollen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und jedes gegenseitige Ausspielen von Standorten verhindern.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.