Fontane-Maräne

Berliner Ichthyologen entdecken neue Fischart

  • Tom Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Still und erhaben liegt er da - der große Stechlinsee im Norden Brandenburgs. Der über 68 Meter tiefe Klarwassersee hat nun das Geheimnis um eine nur hier vorkommende Maränen-Art, Coregonus fontanae, benannt zu Ehren des märkischen Volksdichters Theodor Fontane, preisgegeben.
Maränen sind heringsartige Fische, die mit den Lachsen und Forellen eng verwand sind. In Nord- und Mitteleuropa mit Schwerpunkt im baltischen Raum kommt die 1758 von Linnaeus beschriebene Kleinen Maräne (Coregonus albula) vor. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wusste man, dass es Vertreter dieser Art gibt, die zu dem Zeitpunkt laichen, bei der das Gewässer auf Grund der Herbstzirkulation eine einheitliche Temperatur hat, also im November und Dezember, sowie andere Tiere, die sich erst im April bis Juni fortpflanzen. Bereits 1933 fand man heraus, dass es sich hierbei möglicherweise nicht um ein und dieselbe Art handeln könnte. Damals wurde im Breiten Luzin in der Feldberger Seenlandschaft eine frühjahrslaichende Tiefenform entdeckt, die sich auch äußerlich geringfügig von der ebenfalls dort lebenden Kleinen Maräne unterschied. Man beschrieb diese zunächst als Unterart »lucinensis« der Kleinen Maräne, allerdings wird sie erst seit 1990 als eigene Art - die Luzin-Maräne - anerkannt. Als in den 1950er Jahren auch im Stechlin in über 50 Meter Tiefe Frühjahrslaicher gefunden wurden, hielt man diese natürlich für Luzin-Maränen, die der Volksmund Quietschbauch nannte. Als die Berliner Ichthyologen Michael Schulz und Jörg Freyhof vom Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) begannen, die äußeren und genetischen Merkmale nordostdeutscher Maränen zu untersuchen, machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Sowohl im Breiten Luzin als auch im Großen Stechlin hat sich offenbar eine neue Artbildung ereignet. Dabei entwickelten sich aus einem gemeinsamen Vorfahren in beiden Seen wie auch im übrigen Teil des Verbreitungsgebietes Kleine Maränen. Dieses Entstehen eigenständiger Arten geschah in diesen beiden Seen unabhängig voneinander und vor allem ohne eine geographische Isolation zu den übrigen Maränen. Verblüffend hierbei ist zudem, dass der Stechlin erst mit der Weichseleiszeit, also vor 12000 Jahren, entstanden ist. Demnach müsste die Artbildung in diesem ungewöhnlich kurzen Zeitraum stattgefunden haben. Zu Ehren des märkischen Heimatdichters Theodor Fontane, der den Großen Stechlin berühmt gemacht hat, wurde die neue Art als Coregonus fontanae - die Fontane-Maräne - benannt. Endemiten, also Arten, die nur ein kleines Verbreitungsgebiet aufweisen, erfordern auch aus Naturschutzsicht ein besonderes Engagement. Denn wenn in diesen beiden Seen sich die Bedingungen nur geringfügig ändern, könnten zwei Arten für immer aussterben. Die Verordnung zum Naturschutzgebiet Stechlin trägt dieser Entdeckung bereits Rechnung. In den kommenden Jahren gilt es in Zusammenarbeit mit der Fischerei Neuglobsow, Strategien für die Existenzsicherung der Fontane-Maräne zu entwickeln. Hierzu zählt insbesondere, dass die Besatz-Maränen aus dem Stechlin selbst stammen. Die Forscher Schulz und Freyhof wollen in den kommenden Jahren herausfinden, wie der ungewöhnliche Artbildungsprozess tatsächlich vonstatten ging. Ihre Entdeckung hat die Zahl der überwiegend in Deutschland vorkommenden Fischarten auf zwölf erhöht, was die internationale Verantwortung der Bundesrepublik beim Schutz der Biodiversität aquatischer Ökosysteme unterstreicht. Schulz&Freyhof (2003): Coregonus fontanae, a spring-spawning cisco from Lake Stechlin, northern Germany (Salmoniformes: Coregonidae). Ichthyological Exploration of Freshwaters 14 (3): S. 209-216

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