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Feuerzeug oder Streichhölzer?
Plötzlich sank der Konsum von Feuerzeugen, die Leute kauften ohne ersichtlichen Grund wieder Streichhölzer. Die vereinigten Feuerzeugwerke riefen sofort eine Krisensitzung ein. Als die vollständigen Statistiken über das Kaufverhalten der Bevölkerung vorlagen, sah sich das Selbstverständnis der obersten Etagen tief erschüttert. Die Generaldirektion sagte eine Ideenkonferenz an, auf der, nach bewährtem Ritual, auch der idiotischste Vorschlag zur Veränderung der Lage nicht belächelt werden durfte.
Ein Volontär berichtete von einem Erlebnis aus seiner Kindheit, nach dem sich seine Großmutter Löcher in die Strümpfe gebrannt hatte mit abspringenden Glühköpfen eines Streichholzes. Die Fachleute belehrten ihn, das Argument würde die Konkurrenz nicht aus dem Sattel heben, denn diese produziere längst Sicherheitszündhölzer. Die Marketinggruppe, immer für rigorose Ansichten gut, schlug vor, Feuerzeuge künftig in Streichholzschachteln zu verpacken. Bei der Vorstellung konnte sogar der Generaldirektor ein Grinsen nicht unterdrücken: Das war kaum der Weg, die eigene Identität wollte keiner aufgeben. Schon eher war man einer anderen Idee zugetan, die während einer Stammtischrunde heranreifte.
Ein eifriger Assistent hatte herausgefunden, daß die großen Waldbrände von Arizona auf einen Brandstifter zurückgingen, der nachgewiesener Weise Streichhölzer benutzt hatte. Der neue Slogan lautete: Wer Streichhölzer kauft, der zündet auch Wälder an!
Nach ein paar Tagen freilich meldeten die unteren Vertriebsinspektoren, daß mit dem Werbefeldzug eine entgegengesetzte Wirkung erzielt worden war: Die Käufer von Zündwaren (Streichhölzer wie Feuerzeuge) begannen angesichts der flammenden Plakate über ihr tatsächliches Kaufverhalten nachzudenken und meinten, irrational, wie die Massen meist handeln, man müßte endlich mal wieder anstelle von Feuerzeugen Streichhölzer benutzen. Der für diese Kampagne verantwortliche Abteilungsleiter wurde sofort gefeuert (sie!), die inkriminierten Darstellungen eingezogen, eine weitere Verbreitung durch die Konkurrenz gerichtlich untersagt.
Nunmehr engagierten die Feuerzeugfabriken Soziologen, Psychologen und andere Meinungsforscher, um hinter die tatsächlichen Ursachen des erstaunlichen Stimmungswandels zukommen. Das Ergebnis ihres Forschens brachte sensationelle Erkenntnisse zutage: Von den Zigarrenrauchern und den Kerzenanzündern erfuhr
man, daß sie nur mit Streichhölzern hantierten. Deren öffentlich gezeigtes Image imponierte jugendlichen Zigarettenkonsumenten. Altbewährte Rituale des angebotenen Feuers aus aufschnappenden Feuerzeugen - wie das in Filmen vorgeführt worden war - verloren an Wert.
Die Konkurrenz verschränkte lächelnd die Arme und wartete ab, was für groteske Argumente von der Gegenseite noch auf den Markt der Meinungen geworfen werden würden. Beispielsweise berichteten die Medien von einer Frau, die ein mit Watte umwickeltes Streichholz als Ohrenputzer benutzt und sich damit das Trommelfell verletzt hatte.
Alle Kampagnen blieben ohne Erfolg. Die Damen und Herren in den Vorstandsetagen der Feuerzeugwerke beschlossen in ihrer Verzweiflung, der absteigenden Verkaufkurve rigoros ein Ende zu setzen: Sie bauten selbst eine Streichholzproduktion auf und versuchten mit Billigprodukten den Markt zurückzuerobern. Welche Maßnahme freilich einen merkwürdigen Effekt hervorbrachte: Am Ende wollte überhaupt niemand mehr etwas mit Feuer zu tun haben.
Die Moral von der Geschichte: Verachtet mir die Streichhölzer nicht!
GUNTER EBERT
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