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- CONTRA: Warum sollten mir die Sachsen näher sein als Polen, Russen, Rumänen?
Nationalstolz – nur dümmlich und aggressiv
Stelle ich mir die Frage, warum ich mich als Deutscher fühle, finde ich nur die schlichte Antwort: Einzig darum, weil ich deutsch spreche. Zwar vermag ich mich mehr schlecht als recht in russisch auszudrükken, doch gedankliche Finessen gelingen mir nur in deutsch. Könnte ich mit Montaigne im Original ebenso gut umgehen wie mit Marx und Hegel, würde für mich das Deutschsein als Problem vollends entfallen. Ich wäre dann genauso Franzose wie Deutscher. Zugegeben, eine ziemlich simple Erklärung für die nationale Zugehörigkeit, doch habe ich nie einen Anlaß gesehen, mich in eine Nation anders als durch die Sprache eingebunden zu fühlen. Sie ist das einzige Medium, durch das ich bei mir selbst bin.
Nation, Volk, Vaterland sind für mich nie bedeutsame Größen gewesen, denn warum sollte ich dem Zufall, Deutscher zu sein, besonderes Gewicht beimessen. Als die Parole „Wir sind ein Volk“ auf die Straßen lanciert wurde, dürfte eigentlich jedem klar gewesen sein, daß nicht so sehr die Liebe zur Nation als vielmehr die Liebe zur Deutschmark im Spiele war. Soweit ich zurückdenken kann, waren Appelle zur na-
tionalen Besinnung, war der Ruf, sich einem „Staatsvolk“ verbunden zu fühlen ideologischer Bombast, der entweder ökonomische Notlagen oder politische Miseren und Aufbruchstimmungen kaschierte.
Bei aller Hochachtung für Ludwig Elm, dem ich viele Anregungen für meine Arbeiten über den Neokonservatismus verdanke, muß ich ihm widersprechen. Gerade diese Studien haben meine Zweifel, Nation und Vaterland als verpflichtende Werte zu achten, bestärkt. „Man kann aus seiner Nation nicht aussteigen“, meint Ludwig Elm. Und was sollen jene fühlen, die zwar durch Staatsangehörigkeit an ein Volk gekettet sind, Nation und Vaterland jedoch nie verinnerlicht haben? Warum sollten mir die Bayern, Sachsen usw. näher sein als die Polen, Russen oder Rumänen?
Die Gleichgültigkeit, mich einer Nation zugehörig zu empfinden, resultiert nicht zuletzt daher, daß alle Bezeugungen von Vaterlandsliebe und Nationalstolz nicht nur dümmlich, sondern auch aggressiv daherkamen. Ich glaube, daß von jenen, die stolz sind, Neustrelitzer oder Brandenburger zu sein, weniger Gefahren ausgehen, als von jenen, die stolz
sind, Deutscher zu sein. Mag man über Provinzialität lächeln, tödlich war Lokalpatriotismus nie.
Natürlich sind Nationalstaaten gewachsen und haben bei der Assimilation unterschiedlicher Ethnien ihre sinnstiftende Bedeutung gehabt, doch nationalistische Selbstüberhebung, Verkrustungen der Staatsmacht, Ritualisierung vaterländischen Brimboriums (Fahnen, Eide, Orden, Fackelzüge etc.) haben keinem Volk gutgetan. An ihnen ist die deutsche Nation vollends verkommen. Der Welt wäre es bestimmt zuträglicher gewesen, hätten vier, fünf oder mehr Staaten deutscher Zunge nebeneinander koexistiert.
Der deutsche Einheitsstaat begann 1871 mit der Demütigung Frankreichs, und dabei blieb es nicht. Ich wüßte ehrlich nicht, aus welchen emotionalen und geistigen Ressourcen ich schöpfen sollte, mich Deutschland besonders geneigt oder verpflichtet zu fühlen oder in der Vorstellung zu leben, in und aus diesem Land wäre noch Gutes zu erwarten. Schließlich hat die Bundestagswahl gezeigt, daß viele Deutsche nichts so fürchten als ihre Saturiertheit zu verlieren. Dieses freiwillige
Verharren in der Beschränktheit ist ein nicht ungefährlicher nationaler Wesenszug.
Wer kann was Kluges, wer was Dummes denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht. So oder ähnlich läßt Goethe einen Protagonisten im „Faust“ sagen. Auf das Gerede von der deutschen Nation hat schon Marx geantwortet, sie sei die Scheiße an sich. Was hat sich im Verlauf des Jahrhunderts geändert, das einen Linken animieren könnte, die Nation in neuem Licht zu sehen? Selbst wenn man auf feinsinnige Art diese Begriffe den Rechten und Konservativen entreißen wollte, wären diese Mythen kaum mit neuen Inhalten auszustatten. Warum sollten wir den Makel, vaterlandslose Gesellen zu sein, nicht mit Fassung tragen? Der Kampf um erträgliche soziale Zustände, um Freiheit für Andersdenkende und Minderheiten, gegen Geistlosigkeit und nationalistische Verblödung kommt ohne Mythen aus. Halten wir's mit Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er Deutschland liebe, geantwortet hat: Ich liebe meine Frau. Zum Schluß das schöne Wort: „Wo es gut ist, dort ist Heimat.“
HANS BERGMANN
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