Neue Grundsicherung: Schlimmer als das Hartz-IV-Regime

Christopher Wimmer über die schwarz-rote Reform des Büergergeldes

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 3 Min.
Sozialabbau unter Schwarz-Rot – Neue Grundsicherung: Schlimmer als das Hartz-IV-Regime

Gibt es eigentlich noch Sozialdemokraten in der SPD? Und wenn ja: Wie
fühlen sie sich nach der Einigung im Koalitionsausschuss, das Bürgergeld faktisch abzuschaffen und durch eine »Neue Grundsicherung« zu ersetzen? Läuft das noch unter dem Label »sozialdemokratisch«?

Die schwarz-rote Koalition plant, die Mitwirkungspflichten und Sanktionen bei der Grundsicherung massiv zu verschärfen – schlimmer als zu Hartz-IV-Zeiten: Terminversäumnisse und Jobablehnungen sollen härter geahndet werden, mit Leistungskürzungen bis hin zur kompletten Streichung von Regelsatz und Unterkunftskosten. Die Bundesregierung spricht von einer Neuausrichtung, die das Fördern und Fordern wieder in den Mittelpunkt stellen soll.

Die Bundesregierung steuert so sehenden Auges auf einen Verfassungsbruch zu. Denn das Bundesverfassungsgericht hat 2019 klargestellt, dass Kürzungen über 30 Prozent des Regelsatzes verfassungsrechtlich nicht gedeckt sind. Die geplanten Regeln sollen nach Zeitplan im Herbst 2025 als Referentenentwurf vorliegen, das Gesetz folgt. Wenn die Regelung beschlossen wird, drohen ein Verfassungsstreit und lange Verfassungsprozesse – Jahre, in denen Menschen unter neuen Kürzungen leben müssen, und Jahre juristischer Ungewissheit für Betroffene. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kündigte nach der Einigung an, man wolle die Sanktionen »bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist«, verschärfen. Selbst wenn das rechtlich als möglich gilt, ist es politisch verantwortungslos: Rechte formt man nicht an der Grenze; man sollte sie nicht testen, wenn Menschen davon abhängen.

Christopher Wimmer

Christopher Wimmer ist Soziologe und forscht zu sozialer Ungleichheit und Armut. Zuletzt erschein sein Buch »Leben ganz unten. Perspektiven vom Rand der Gesellschaft« im PapyRossa Verlag.

Die Koalition malt das Bild von vielen »Arbeitsverweigerern« an die Wand, die es zu disziplinieren gilt. Doch treffen die Sanktionen, die das Existenzminimum gefährden, die Schwächsten zuerst. Besonders brutal ist die Praxis gegenüber Menschen, die aus Sorgearbeit – Pflege oder Erziehung – eine Arbeit ablehnen müssen, weil das Angebot sich nicht vereinbaren lässt. Sie werden vermutlich besonders unter Totalsanktionen leiden. Gleichzeitig hält Care-Arbeit die Gesellschaft zusammen; sie darf nicht zum Nachteil der Leistenden werden.

Zudem spricht ökonomisch wenig für die geplanten Verschärfungen: Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann behaupteten im Wahlkampf, durch eine Bürgergeldreform Einsparungen im zweistelligen Milliardenbetrag erreichen zu können und stellten hohe Zahlen von »Totalverweigerern« in den Raum. Nur sagen die nackten Zahlen etwas anderes: 2023 weigerten sich nur etwa 13 800 Menschen, ein Arbeitsangebot anzunehmen — bei rund 1,7 Millionen Erwerbsfähigen im System. Pauschale Schuldzuweisungen sind sachlich falsch und politisch gefährlich.

Bei der Reform handelt es sich somit um Symbolpolitik auf Kosten der Schwächsten, die rechtlich unsicher, moralisch verwerflich und ökonomisch sinnlos ist. Dass die SPD dies mitträgt und nicht etwa die Idee einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer in den Raum stellt, die tatsächlich Milliardenbeiträge in die Kassen spülen könnte, ist nur ein weiterer Schritt zum Bankrott dieser Partei.

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