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  • Politik
  • Am Wochenende wurde das Sommerspektakel zur Gründung einer Internationalen Friedensuniversität im Tempodrom in Berlin eröffnet

Etwas Frieden, viel Esoterik und gutes Geld

  • Lesedauer: 5 Min.

Rund 1000 Besucher füllten am Freitagabend das Tempodrom im Tiergarten, als das „Eröffnungsfestival der Sommeruniversität zur Gründung der Internationalen Friedensuniversität“ begann. Hinter der langatmigen Bezeichnung verbirgt sich ein Unternehmen, das in der deutschen Presse in den vergangenen Jahren unter den Rubriken „Esoterik“ und „Kommerz“ mehrfach Schlagzeilen machte.

Den Vorsitzenden des Gründungsvereins für die „Friedensuniversität“, Uwe Morawetz, machten die Medien als Horoskop-Vertreiber aus der Westberliner Esoterik-Szene aus. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche Berlin/ Brandenburg äußerte sich warnend. Im Herbst vergangenen Jahres trat der gesamte Vorstand des Unternehmens bis auf Morawetz wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten zurück. Zahlreiche Prominente, die auf den Rednerlisten der Friedensuniversität aufgeführt waren, äußerten sich verwundert: Sie waren nie über Details

informiert worden. Förderer der Friedensuniversität

schließlich sind auch Angehörige von Vereinigungen wie der Mun-Sekte, einem jener Großkonzerne aus dem ostasiatischen Raum, die mit der Kombination von Gemütspflege und faschistoidem Autoritarismus die traditionellen Kirchen im Milliarden scheffeln vermutlich längst überflügelt haben.

Trotz der negativen Berichterstattung gelang es der Friedensuniversität, zahlreiche Prominente - inklusive aus der PDS - zur Teilnahme an den von ihr veranstalteten Friedensgesprächen in den vergangenen Jahren zu bringen und finanzielle Zuwendungen (nach eigenen Angaben u.a. von Gregor Gysi, Luise Rinser, Hotel Kempinski, Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP) in erheblichem Umfang zu erhalten. Manche Sponsoren wie der Axel-Springer-Verlag folgen dabei einer gewissen Tra-

dition deutscher Fach- und Führungskräfte. Hielt sich doch der Verlagsgründer, so die jüngste Springer-Biographie, des öfteren für Jesus und ließ sich bei Grundsatzentscheidungen aus der Hand lesen.

Die Liste der Prominenten, die am Eröffnungsfestival teilnahmen, war zwar gegenüber den Ankündigungen geschrumpft, aber immer noch beachtlich: Drei Friedensnobelpreisträger (der Dalai Lama, Oscar Arias Sanchez, Betty Williams), ein bereuender Hauptverantwortlicher des Vietnam-Genozids (Robert S. McNamara), ein anerkannter Friedensforscher (Johan Galtung) und ein indischer Philosoph (Karan Singh) nahmen neben Franz Alt, Peter Maffay, Luise Rinser u.a. auf dem Podium Platz. Kurt Biedenkopf schickte eine Grußadresse, die Rainbirds und Patti Smith machten Musik. Zwei Stunden

lang wurden Freundlichkeiten ausgetauscht, deren Substanz Luise Rinser am Schluß in die Aufforderung faßte: „Fangen wir doch an uns zu mögen.“

Der Dalai Lama, dem eine Zeitung noch am Freitag gute Verbindungen zur japanischen Aum-Sekte nachsagte, gab der einmonatigen Sommeruniversität, an deren Ende am 1. Oktober die Gründung der Friedensuniversität stehen soll, die wichtigsten Stichworte vor. Hoffnung für die Welt bestehe nur in einer Kombination von technischem und innerem Fortschritt. Letzterer beziehe sich nicht allein auf geistige oder religiöse Momente, sondern auf das, was er „innere Abrüstung“ nannte: Die Entwicklung positiver und den Abbau negativer Emotionen. Zentraler Begriff des inneren Fortschritts sei „Mitgefühl“ (compassion) als Grundlage für das Verständnis anderer Menschen und als Weg zur Er-

kenntnis der Interdependenz der Menschheit. Nur so könnten die Klüfte zwischen Arm und Reich, innerhalb und zwischen Nationen abgemildert werden.

Franz Alt plädierte dafür, nach den „wunderbaren Visionen des Dalai Lama“ zur Realität zurückzukehren. Zwischen dem Feiern meditativer Nettigkeit und dem Bemühen, Argumente einzusetzen, teilten sich die Statements auf. Johan Galtung, der Frieden als Fähigkeit definierte, „mit Konflikten gewaltlos und schöpferisch“ umzugehen, schlug ein föderalisiertes China einschließlich Taiwan, Tibet und Shenyang zur Friedenssicherung in Ostasien vor. Oscar Arias Sanchez verwies darauf, daß nach Costa Rica (1948) auch Panama 1994 völlig auf den Erhalt militärischer Kräfte verzichtet habe und Haiti sich wahrscheinlich noch in diesem Jahr anschließen werde.

McNamara lobte den Dalai Lama für seine Vorschläge, die Christus vor 2000 Jahren mit auch gemacht hätte - allerdings mit bislang wenig Erfolg. Der Ex-US-Kriegsminister trat daher für die Herstellung kollektiver Sicherheit durch die Großmächte - wozu er auch Deutschland rechnete - als gangbaren Weg ein. Das brachte ihm einige Pfiffe ein. Ervin Laszlo, Mitbegründer des Club of Rome, warnte, die Menschheit könne ein Jahrhundert wie das 20. nicht noch einmal überleben. Zu zerstören sei die „neolithische Illusion“, daß die Erde unbegrenzt ausbeutbar sein.

Ein Nebeneinander von Tantra, „entkörperlichter Dichtung“, „transpersonaler Psychologie“, Psychokinese, Molekularbiologie, Astrophysik, Zen und Erinnerungen an sowjetische Diplomatie (Valentin Falin, Vladimir Bereshkov) bil-

det die Struktur der Sommeruniversität. Daß das, was als „innerer Frieden“ den Hörern offeriert wird, dabei im Vordergrund steht, machten bereits die ersten Veranstaltungen nach der Eröffnungszeremonie deutlich. Mehrstündige Meditation täglich, so war einer Runde amerikanischer Buddhisten am Sonntag zu entnehmen, schaffe jene Gemütsruhe, die Voraussetzung für den Frieden in der Welt sei.

Absoluter Höhepunkt bis dato war zweifellos die La-Ola Welle im Rund des Tempodrom mit allgemeiner Umarmung des jeweiligen Nachbarn und die Ankündigung, für das Abbrennen von 111 111 Buddha-Lampen demnächst Geld einzusammeln. Die knapp 1500 Mark, die Teilnehmer an der gesamten Sommeruniversität zu berappen haben, reichen offenbar hierfür nicht.

Fazit: Vom laufenden Krieg war keine Rede, aber es war besinnlich.

ARNOLD SCHÖLZEL

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