- Kultur
- Zum 100. Geburtstag von Hardy Worm
Frank Ripper oder Der blutige Ernst
den Ostbahnhof, die Gestrandeten, die Penner und die Harfenjulen und ,Die kleine Fahrstuhlführerin'“ Das letztgenannte Gedicht entstand 1928 und wurde im „Berliner Tageblatt“ gedruckt. Da hatte Worm schon ein bewegtes Leben vorzuweisen: Soldat im ersten Weltkrieg, Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrates, Agitation für den Spartakusbund brächte^ ihn ~1919~ wegen „staatsumstürzlerischer Umtriebe“ für sechs Monate ins Gefängnis. In der Nachbarzelle saß Karl Radek, dem Stefan Heym jüngst einen Roman widmete.
1922 ruft er in Berlin mit Tucholsky (der laut Worm in letzter Minute kniff), Hans Hyan und anderen das Kabarett „Die rote Nachtigall“ ins Leben und betätigte sich nach dessen Scheitern bei der „amüsanten Radauzeitung“ (Worm) „Freie Presse“, von den Berlinern in „Breite Fresse“ umgetauft. Mit erstklassigen Mitarbeitern -Berta Lack, Henning Duderstadt, Kurt Hiller, Carl von Os-
sietzky, Emil Julius Gumbel wollte er ein lesbares linkes Blatt machen. Die Auflage sank von 120 000 rapide auf 30 000, und Hardy Worm bekam vom Verleger, einem Schuhhändler, den Stuhl vor die Tür gesetzt. „Ich hätte wissen müssen“, schrieb er 1968, „daß man aus einem Klo kein Speisezimmer machen kann.“ Nunmehr verstreute er seine Artikel über den gesamten linken Blätterwald Deutschlands: den „Drachen“ in Leipzig, die „Pille“ in Hannover, die „Berliner Volkszeitung“, die „Rote Fahne“ Mal hieß er Frank Ripper, mal Der blutige Ernst, mal Orje, mal Pick Nick, mal Lo Merrit, mal Ostaß Harlander. Hinzu kommen noch Kürzel wie hywo, howy und etliche Decknamen, die noch zu entschlüsseln wären.
Im Oktober 1931 nahm Hardy Worm den mittelmäßig dotierten Posten des Chefredakteurs der neugegründeten satirischen Wochenzeitung „Die Ente“ an. Er überzeugte Erich Kästner, Erich Mühsam, Roda
Roda, Erich Weinert, für das bescheidene Honorar mitzuarbeiten und gewann die Karikaturisten Karl Holtz - bissigster Stift des „Wahren Jacob“ - und Rudolf Herrmann als Hauptzeichner. Fleißigste Autoren des Blattes waren allerdings Verleger Bernhard Gröttrup (auch unter etlichen Pseudonymen) und der Chefredakteur.
Als die Nazis, die in keiner Nummer der kleinen „Ente“ ungeschoren davonkamen, im Februar 1933 die Redaktion überfielen, saßen Gröttrup und Worm „gerade in einer Kneipe und überlegten, ob es ratsam sei, den Nazis noch eins über das Fell zu hauen. Wir brachten noch eine freche Nummer heraus, dann kam das Verbot und ich und meine tapfere Frau verließen unseren Wigwam und zogen westwärts. Wir wußten ja, was kommen würde“ (1971).
Für ihn hatte sich seine journalistische Laufbahn 1933 vollendet, trotz gelegentlicher
Mitarbeit an Exil-Publikationen wie der „Neuen Weltbühne“ Denn nun schrieb er Kriminalromane, deren erste noch in Deutschland erschienen waren. Jetzt hieß der Verfasser Ferry Rocker Einer von ihnen, „Schüsse im Quartier Latin“, wurde 1934 im „Pariser Tageblatt“ in Fortsetzungen gedruckt.
Das Ende seiner Exilzeit erlebt er in Österreich. Er wird Redakteur des „Neuen Österreich“ und schreibt Glossen als Peter Kuckuck. Für einen „Enten“-Nachfolger, der „Roter Kuckuck“ heißen soll, findet er keine Verleger Wieder wird er Chefredakteur, diesmal heißt die Zeitschrift „Mein Film“ und ist in Österreich eine angesehene Filmillustrierte, die über Hollywood-Filme ebenso informiert wie über das, was bei der DEFA geschieht. In dieser Zeit lernt er den jüngsten Wiener Journalisten kennen, fördert ihn und schenkt ihm für dessen spätere gesellschaftskritische Romane so manchen Plot. Was dieser ihm nicht ver-
gessen hat: „Ich habe viele berühmte Chefredakteure in späteren Jahren gehabt - er war, wenn ich es recht bedenke, mein erster Lehrmeister. Und was für einer! Wieviel habe ich von ihm gelernt!“, schrieb Johannes Mario Simmel 1977
1957 wurde „Mein Film“ eingestellt, Worm kam wieder in die Stadt, die er so oft besungen hat: Berlin. Seiner Wiederentdeckung stand er skeptisch entgegen: „Ich kenne die Grenzen meiner Begabung. Ich hätte natürlich, wenn dieser Scheißkerl... nicht an die Macht gekommen wäre, noch manches aus mir herauskritzeln können, aber das war nun nicht mehr möglich.“ (1972).
Im Jahr seines 100. Geburtstages kann man die Textsammlungen „Das Hohelied vom Nepp“, „Rund um den Alexanderplatz“ und „Streifzüge eines Ironikers“ höchstens noch in ostdeutschen Bibliotheken finden. Doch das liebevoll aufgemachte „Mittenmang durch Berlin“ (Verlag Klaus Guhl), die Ferry-Rocker-Kriminalromane „Die Liga der Toten“ und „Der grüne Pfeil“ (Sachsenbuch) und die grandiose Reprint-Mappe „Dada-Mappe Berlin 1920/1921“ (Reinhard Nenzel Verlag) sind im Buchhandel noch zu haben.
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