Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • ND-Serie AUSLÄNDER IN DEUTSCHLAND: Die meisten RUMÄNEN wollen der desolaten Wirtschaftslage entfliehen

Früher als politische Flüchtlinge willkommen

  • JÜRGEN AMENDT
  • Lesedauer: 3 Min.

Grenzbahnhof Frankfurt/Oder Eine dreiköpfige Familie aus Rumänien springt aus dem Zug. Augenblicklich werden sie von bewaffneten Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) umringt. Da sie kein Touristenvisum vorweisen können, befinden sie sich illegal in der Bundesrepublik. Der Mann und die minderjährige Tochter werden sofort abgeschoben. Die hochschwangere Frau kommt, nachdem die Wehen noch im Polizeirevier einsetzten, ins Krankenhaus.

Obwohl sie wiederholt betont hatte, Asyl beantragen zu wollen, soll sie zwei Wochen nach der Entbindung mit ihrem Kind über Berlin-Schönefeld abgeschoben werden. Erst dort reagieren die Beamten positiv auf den Asylwunsch der Frau: Sie darf vorerst bleiben. Nachzulesen ist dieser Fall vom Februar 1993 in der Broschüre „Rumänien. Vor den Toren der Festung Europa“ der Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM).

Rumänen, da denken viele zuerst an organisierte Kriminalität, „Wirtschaftsasylanten“ oder Banden ehemaliger rumänischer Geheimdienstleute. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Eine desolate wirtschaftliche Lage und poli-

tische Perspektivlosigkeit treiben Jahr für Jahr Tausende Rumänen nach Deutschland. Für Stundenlöhne von teilweise weniger als sechs Mark malochen viele auf dem Bau. Angeworben werden sie von deutschen Vermittler- und Werkvertragsfirmen, die das vielfache des Lohnes von den Baufirmen als Provision erhalten. Für den illegalen Grenzübertritt kassieren wiederum Profi-Schleuser von den Flüchtlingen horrende Summen.

Deutschland ist vor allem für junge Rumänen ein begehrtes Ziel. Nach der Einstufung des südosteuropäischen Landes als „sicheres Herkunftsland“ besitzen rumänische Flüchtlinge jedoch keine Chance mehr auf Anerkennung im Asylverfahren. Im letzten Jahr wurde nach Informationen der FFM

kein einziger Asylantrag von Rumänen mehr anerkannt.

Am härtesten trifft es die zahlenmäßig größte Gruppe der hier lebenden Rumänen die Roma, die weder in der Bundesrepublik noch in ihrer Heimat gern gesehen sind. Nach Schätzungen des Innenministeriums sind etwa 60 Prozent der seit Inkrafttreten des Rücknahmeabkommens abgeschobenen rumänischen Staatsbürger Angehörige der Roma-Minderheit.

Genaues Zahlenmaterial gibt es allerdings nicht. Viele Roma-Flüchtlinge verzichteten zu Beginn der 90er Jahre bei der Einreise in die Bundesrepublik ganz bewußt auf ihre Staatsangehörigkeit. Aufgrund ihrer Verfolgungssituation in Rumänien gingen sie davon aus, daß sie auf keinen Fall abgescho-

ben würden. Der Status als Staatenlose sollte ihnen dabei helfen. Ein Irrtum, wie die durchgängigen Ablehnungen ihrer Asylanträge beweisen.

Aus Rumänien, einem der Armenhäuser Europas, sind aber bereits vor 1989 Menschen nach Deutschland gekommen. Damals, in der Zeit der Blockkonfrontation und des kalten Krieges, wurden sie als politische Flüchtlinge vor dem Kommunismus im Westen bereitwillig aufgenommen. So lebt denn heute auch der größte Teil der Rumänen in den alten Bundesländern.

In Westberlin gab es beispielsweise bereits 1990 eine 2 300 Köpfe zählende rumänische Gemeinde, während im Ostteil der Stadt damals lediglich 300 rumänische Staats-

bürger registriert waren. Heute leben nach Angaben der Außenstelle der rumänischen Botschaft etwa 2 700 Rumänen in der deutschen Hauptstadt. Bundesweit stellen sie immerhin die siebtgrößte Ausländergruppe.

Abseits der Polizeinachrichten und Skandalgeschichten der Boulevardzeitungen über die „kriminelle, vagabundierende Rumänenmafia“ hat sich ein allerdings nur spärlich aktives Gemeindeleben in der deutschen Aufnahmegesellschaft entwickelt. Die einzige Gemeinde mit organisierter Sozialarbeit gibt es in Berlin. Dort ist der „Sozialdienst für Rumänen“ seit 1991 fester Be-. standteil der Gemeindeaktivitäten. Eine der größten orthodoxen Kirchengemeinden in Deutschland existiert in München. Ihr gehören rund 8 000 Rumänen an.

Bisher erschienen: Bosnier (31.7.95), Iraner (8.8), Kurden (15.8.), Argentinier (30.8.), Afghanen (6.9.), Polen (14.9.), Vietnamesen (21.9.), Kroaten und Serben (28.9.), Portugiesen (10.10.), Algerier (19.10.), Chilenen (26.10.), Indonesier (2.11.), Inder (15.11.), Italiener (22.11.), Russen (1.12.), Türken (7.12.), Koreaner (12.12.), Armenier (21.12.), Mocambiquer (2.1.96), Roma (18.1.), Griechen (25.1.), Bulgaren (5.2.1 Tamilen (12.2.).

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -