Volksbanker auf Anklagebank

Genossenschaftsverband nennt Kontoabfrage verfassungswidrig

  • Uwe Kraus, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Scharf kritisierte die Vertreter von 14000 Genossenschaften die automatische Kontoabfrage. Doch auf dem Verbandstag in Magdeburg mussten auch »interne Aufräumarbeiten« begonnen werden.
Obwohl längst beschlossen, kritisierte der Genossenschaftsverband Norddeutschland (GVN) auf seiner Magdeburger Tagung vergangenen Donnerstag das »automatisierte Kontoabrufsystem«. Denn nach dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit werden demnächst auch Finanzämter und andere Leistungsbehörden, von Sozial- bis Wohnungsämtern von Bafög-Stellen bis zur Bundesagentur für Arbeit, online auf die Stammdaten von 500 Millionen Konten und Depots in Deutschland zugreifen können. Dies schränke die Bürgerrechte ein, monierte Walter Weber vom Verbandsvorstand.
Als »verfassungswidrig« wertet ein vom Verband und den ihm angeschlossenen Kreditgenossenschaften in Auftrag gegebenes Gutachten das Vorhaben. Das automatisierte Kontenabrufverfahren für Kontrollen der Finanzverwaltung gehe am ursprünglichen Ziel der Terrorismus- und Geldwäschebekämpfung völlig vorbei, sagte der Hamburger Professor Erich Samson von der Bucerius Law School. Und Vertreter der Genossenschaftsbanken wiesen darauf hin, dass weder Bank noch Kunde überprüfen könnten, ob und wer auf Stammdaten wie Namen, Adresse, Bevollmächtigte, den Tag der Kontoeröffnung oder der Auflösung zugreife.
Während für Einblicke zur Terrorismus- und Geldwäschebekämpfung »hohe richterliche Hürden zu überwinden sind«, geschehe der Zugriff hier automatisch, kritisierten die Banken, die auch die technische Umsetzung finanzieren müssen, für die letztlich der Kunde zur Kasse gebeten werde. Der Vorstandsvorsitzende Michael Bockelmann warnte vor »einer gläsernen Bank mit gläsernen Kunden«. Die Geldinstitute wehren sich dagegen, dass jede Amtsperson ohne rechtsstaatliche Legimitation routinemäßig Daten abfragen könne. Dies sei ein Verstoß gegen das Recht auf »informationelle Selbstbestimmung«, sagte Bockelmann. Und die genossenschaftlichen Kreditinstitute fühlen sich ohnehin »von der überbordenden Bürokratie« behindert. Prüfungen der Bankenaufsicht werden als teures Beschäftigungsprogramm gescholten. Hier schlug der GVN vor »für jede neue Vorschrift zwei alte zu streichen«.
Pikanterweise ist der Verband mit eigenen Ermittlungen beschäftigt. Nachdem internen Untersuchungen über Unregelmäßigkeiten in der Bankenwerbegemeinschaft fordert der Genossenschaftsverband etwa 940000 Euro von seinem ehemaligen Geschäftsführer Börchert Reents zurück, sagte Verbandsdirektor Michael Bockelmann den Mitgliedern.
Nach einem anonymen Schreiben im November 2003 sei wegen zweifelhafter Zahlungen im Millionen Euro-Bereich ermittelt worden. Reents soll dabei unter anderem 360000 Mark für Bücher und Studien zum Zwecke der Eigen-PR an einen Autor gezahlt haben sowie 200000 Euro an ein Musikzentrum. Ein Teil des Geldes sei auf Konten Schweizer Treuhandgesellschaften gelandet. »Wir wollen unsere internen Aufräumarbeiten bis zum Jahresende erledigt haben«, versprach Verbandsdirektor Bockelmann den Vertretern von über 1400 Genossenschaften aus acht Bundesländern.


Der GVN
Das Geschäftsgebiet des GVN umfasst Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Mit Sitz in Hannover vereint der GVN u.a. 154 gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften, 63 Molkerei- und Meiereiunternehmen, 457 Agrargenossenschaften, 42 Brennereigenossenschaften, 17 Genossenschaften des Gesundheitswesens sowie 172 im GVN organisierte Volks- und Raiffeisenbanken. Mehr Infos unter www.geno-verband.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.