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  • Politik
  • Zum 100. Geburtstag der französischen Schriftstellerin Elsa Triolet

So viele Leben gelebt

  • Cristina Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Elsa Triolet: Wer kennt den Namen nicht? Es ist der Klang, der sich einprägt. »Le triolet«: ein französisches Substantiv, das drei Dinge bezeichnet: die Triole, den Klee mit seinen drei Blättern, und das Triolett, eine Gedichtform, in der eine Zeile dreimal wörtlich oder fast wörtlich wiederkehrt.

Drei Namen sind es auch, die sich im Bewußtsein sofort mit dem Elsa Triolets verbinden: Louis Aragon, Wladimir Majakowski und Lili Brik - ihr Lebensgefährte, ihr Jugendfreund und ihre Schwester. Der, dem sie den Namen verdankt, gehört nicht dazu. Zu Recht. Irgendein Monsieur Triolet, ein Franzose, der sich mehrNeigung bei ihr und mehr Billigung bei ihren Eltern erwarb und damit höhere Qualifikation zum Ehemann zu haben schien als der ungestüme und ungezogene Majakowski, der sich in sie verliebt hatte, bevor er auf ihre ältere Schwester verfiel, die ihn ebenfalls nicht heiratete, da sie schon verheiratet war. Elsa Kagan, geboren am 24. September 1896 in Moskau in einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, ging mit ihrem Mann auf Reisen, lernte die Welt kennen, auch das Tahiti Gauguins - dort entstand ihr erster Gedichtband. Man soll also nicht sagen, daß Ehemänner nicht zu etwas nützlich sein können.

Sie kam in den 20er Jahren nach Berlin, wo sie das Objekt der Begierde des Schriftstellers Viktor Schklowski wurde, der seine Passion in dem Buch »Zoo oder Briefe nicht über die Liebe« seufzend ausbreitete - zusammen mit den schönen und kühlen Briefen Elsas. Dadurch wurde

Gorki auf die junge Schriftstellerin aufmerksam. 1928 lernte sie in Paris Louis Aragon kennen, der zu den Surrealisten um Andre Breton gehörte und ein Jahr zuvor der Kommunistischen Partei Frankreichs beigetreten war Der Beginn einer Liebesgeschichte, die bis zum Tod Elsas 1970 und wohl auch bis zum Tod Aragons 1982 dauerte.

Für ihre Resistance-Erzählungen erhielt Elsa Triolet, die 1938 ihren ersten Roman in Frankreich veröffentlicht hatte, nach dem Ende der Okkupation den Prix Goncourt des Jahres 1944. Der Pariser Verleger Pierre Seghers, der vor allem mit seinen unzähligen weniger von Geschäftsgeist denn von Begeisterung inspirierten Veröffentlichungen internationaler Lyrik in Frankreich Aufsehen erregte, hat fünf Bücher von Elsa Triolet sowie die von ihr zusammengestellte Anthologie russischer Dichtung - und mehrere Bändchen von Louis Aragon herausgegeben. Mit beiden Schriftstellern war er seit der Resistance befreundet. Damals war er auch der FKP beigetreten, von der er sich aber nach dem Krieg rasch wieder getrennt hatte. Die 50er Jahre brachten einen dreijährigen Bruch zwischen den Freunden, eine Art privaten kalten Krieg.

Seine dritte Frau, Colette Seghers, hat 1981 in Frankreich ihre Erinnerungen veröffentlicht, in denen sie »den Aragons« - wie man Louis und Elsa in Frankreich nannte - ein ganzes Kapitel widmete, ein Kapitel, das ihr schwierig erschien. »Louis Aragon ist ein Mann, über den man sich nicht mehr einig ist«, gesteht sie und läßt durchblicken, daß das politische Gründe hat. Über Elsa Triolet schreibt sie: »Sie hatte sehr schöne goldene Haare... Sie war eine ernste Frau,

ich glaubte, ich habe sie nicht oft lachen sehen. Klugheit herrschte in ihrem Blick, so wie Tageslicht in Türmen leuchtet... Stets war ihr eine scharfe Klarheit zu eigen, die einen aus der Fassung brachte, die Präzision eines Vogels, der genau zu zielen und zuzugreifen versteht. Aber sie hatte so viele Ängste durchgestanden, so viele Leben gelebt, sehr mutig, daß sie nach alldem nicht zurückhaltend hätte sein können. Wer hätte das nicht verstanden?«

Sie »dachte oft auf Russisch und schrieb ein perfektes Französisch«, urteilt die Verlegersgattin, selbst Schriftstellerin: »Ob man ihre Bücher liebt oder nicht, sie schrieb bemerkenswert. Sie hatte Talent und Anspruch, eine moderne Strenge, einen Sinn für das Reale und das Aktuelle.«

Der Autor der in diesem Jahr erschienenen repräsentativen Biographie Andre Bretons hat eine weniger günstige Meinung von Elsa Triolet. Er zeichnet - wie viele vor ihm - das Bild einer herrschsüchtigen Frau, die Aragon nicht etwa durch ihre Schönheit, Intelligenz und Tatkraft gefesselt, sondern ihn lediglich durch ihre unbändige Energie unterworfen und gezwungen habe, ein linientreuer Kommunist und mittelmäßiger Schriftsteller zu werden.

Dagegen bezeugt Colette Seghers, die ja nicht ohne Distanz war, die Liebe der Aragons, die »viel Tinte« hat fließen lassen. »Und diese beiden liebten sich wie andere, mit den Zufällen und Leiden, die auch Weitblick und Talent mit sich bringen. Mit Hochmut und Ehrgeiz, das stimmt. Auch mit großem Mut.«

Am 16. Juni 1970 ist Elsa Triolet gestorben, an ihrer Beerdigung nahmen ne-

ben Aragon, Lili Brik und Freunden wie dem Ehepaar Seghers auch Georges Marchais, Jacques Duclos und andere Mitglieder des ZK der KPF teil.

Der Name Elsa Triolets ist in Deutschland bekannt. Ihr Werk kaum. Ein Drittel höchstens ist ins Deutsche übersetzt worden. Zwei Bücher, ein Band Resistance-

Erzählungen und der Roman »Das große Nimmermehr«, eine spannende, ironische und traurige Betrachtung über die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, die historische Wahrheit zu fixieren, sind bei uns auf dem Markt. Keine Biographie, keine Briefausgabe. Seit zehn Jahren ist hier kein Buch mehr von ihr erschienen.

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