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Sand im Addinol-Getriebe

Sachsen-Anhalt 430 Arbeitsplätze in Lützkendorf gefährdet Von Hans-Dieter Vater

  • Lesedauer: 3 Min.

Die über Ostdeutschland rollende Konkurswalze kommt nicht zum Stillstand: Nun ist im Süden Sachsen-Anhalt die Addinol Mineralöl GmbH Lützkehdorf an der Reihe.

Das Mineralölwerk Lützkendorf zählte 1989 mit 4000 Mitarbeitern zu den bedeutendsten erdölverarbeitenden Betrieben im Chemiedreieck, nun drohen auch in Lützkendorf die verbliebenen 430 Arbeitsplätze den Bach hinunter zu gehen. Dabei war dem Werk unter dem neuen Namen Addinol Mineralöl GmbH Lützkendorf beim Start als privatisiertes Unternehmen vor gut zwei Jahren die beste Zukunft vorausgesagt worden. Der damalige Treuhandvorstand Wolf Klinz, der dem Alleingesellschafter Ludger Anselm Versteyl die offizielle Zustimmung des Bundesfinanzministeriums

zum Kaufvertrag übermittelte, erweckte den Eindruck, daß der niedersächsische Rechtsanwalt Versteyl das Ölgeschäft aus dem Effeff kenne.

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Klaus Schucht sah das dieser Tage anders. Versteyl sei Rechtsanwalt, wie man wisse. Der einzige, so Schucht weiter, der »etwas vom dem Geschäft verstand«, sei aus dem Aufsichtsrat entlassen worden, so daß Zweifel aufgekommen wären, »ob in dieser Ebene überhaupt noch jemand weiß, was da technisch gemacht werden muß.« Dieser Meinungsumschwung wirft nicht wenige Fragen auf. Mit Millionen-Invesitionen sollten schon 1995 rund 1OOOOO Tonnen Schmieröle für den deutschen Markt aus dem Geiseltal kommen sowie weitere 50 000 Tonnen vorrangig nach Osteuropa verkauft werden. Zur Begleitung dessen einigte man sich auf eine Landesbürgschaft von 40 Millionen DM. Zusammen mit weiteren Zuschüssen für die Altlastenbeseitigung war die Landesregierung im Oktober 1994 be-

reit, rund 200 Millionen Mark ins Addinol-Geschäft zu stecken. Schon damals gab es Kritik hinsichtlich des Risikosplittings. 200 Millionen Landesgeld gegen ein Risiko des Investors Versteyl, der für Addinol mit drei Millionen DM bürgt.

Die Zwischenbilanzen sahen gut aus. Bis zur Jahresmitte 1995 hatte der Produktverkauf im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent zugelegt, und der Sprung von 65 000 Tonnen Mineralölprodukte auf 100 000 Tonnen brachte einen Umsatzzuwachs, der die Verluste um ein Drittel reduzierte. 1996 sollte die Produktion auf 125 000 Jahrestonnen steigen und 1997 die Gewinnzone erreicht werden. Allen Prognosen zum Trotz scheint jetzt Sand ins Getriebe gekommen zu sein. Der 40-Millionen-Kredit, für den das Land bürgen wollte, ist bisher ausgeblieben, es fehlen 10 bis 20 Millionen Mark zur ökologischen Sanierung, zwei Monate wartete die Belegschaft auf Löhne und Gehälter. Selbst eine vom Land zugesagte »Spritze« von fünf Millionen DM zur kurzfristigen Liquiditätssicherung kam nicht. Nachdem die Gesamtvollstreckung droht und hinter dem Firmennamen bereits die zwei Buchstaben i. L. (in Liquidation) stehen, versucht jetzt einer dem anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Klaus Schucht wirft der BvS, die inzwischen 830 000 DM für die ausstehenden Lohn- und Gehaltszahlun-

gen freigab, ein Spiel mit gezinkten Karten vor, weil ein im Juli erarbeitetes Konzept zur Rettung von Addinol an ihr scheiterte. Am Montag kennzeichnete Schucht die Lage als dramatisch: Addinol sei »kurz vor der Zahlungsunfähigkeit...«

Um dies zu verhindern, hat sich das Unternehmen offensichtlich in die Liquidation »geflüchtet«. Die Liquidatoren erklären ihrerseits, von Landesregierung und BvS werde verkannt, daß sich das Unternehmen »in einem rasanten Wettlauf gegen die Zeit« befinde. Die an Versteyl gestellte Forderung, seine Firmenanteile dem Land zur Verfügung zu stellen, kommt für diesen einer »Enteignung« gleich. Bei einem Spitzengespräch aller Beteiligten Anfang Oktober in Berlin hätte man Einigkeit darüber erzielt, Addinol »kurzfristig und bedingungslos« Liquidität bereitzustellen.

Schucht bleibt in der Sache zunächst hart. Die Finanzierung sei daran gebunden, daß der jetzige Eigentümer seine Anteile zur Verfügung stelle. Die BvS und das Land wollten mehr technischen Sachverstand in dem Unternehmen sehen. Mit dem Verdacht, daß wieder das Aus für einen Industriebetrieb vorbereitet wird, fordert Addinol-Betriebsratsvorsitzender Gerd Seela, daß Schwarze-Peter-Spiel zwischen Landesregierung, BvS und Gesellschafter nicht weiter auf dem Rücken der Belegschaft auszutragen. Addinol sei »überlebensfähig«.

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