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Der Gebetsruf ist eine »Ruhestörung«

  • Lesedauer: 4 Min.

Angehöriger einer Familie, die ihre Herkunft direkt auf Muhammad zurückführt, wuchs aber in einer westlich beeinflußten Gelehrtenfamilie auf. »Man konnte während des Ramadan in die Moschee beten gehen oder das auch zu Hause tun«, erzählt er - oder es auch ganz bleiben lassen. Für die Taleban, die jetzt in seiner Heimat herrschen und die Menschen auch außerhalb des Ramadan in die Moscheen treiben, hat Khalili nur Verachtung übrig. Er selbst hält es in Berlin nicht mehr so genau mit dem Fasten, im Gegensatz zu seiner Frau Dshamila.

Der Endvierziger ist einer von etwa 50 000 Afghanen und von 1,8 bis 2,5 Millionen Muslimen in der Bundesrepublik Deutschland - vom anatolischen Dönerverkäufer bis zur irakischen Architektin. In unserem Land lebt damit die zweitgrößte muslimische Minderheit Europas, nach Frankreich mit rund drei und noch vor Großbritannien mit etwa 1,5 Millionen. Auch wenn dort das Verhältnis zwischen ihnen und Nichtmuslimen alles andere als spannungsfrei ist, scheint es in der BRD besondere Probleme zu geben.

In dem Land, dessen Bruttosozialprodukt sie häufig seit Jahrzehnten mehren, in dem sie Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen, werden ihnen vielerorts in typisch deutscher Provinzialität Steine in den Weg gelegt, wenn sie sieht- und hörbar ihre Religion ausüben wollen. Da dürfen die Muslime des südbayrischen Bobingen kein Minarett an ihrer Moschee errichten, weil es unverschämterweise zwei Meter höher wäre als der Turm der Pfarrkirche. In Duisburg-Laar beantragte die muslimische Gemeinde, während des Ramadan über Lautsprecher zum Gebet rufen zu dürfen - und löste damit prompt einen »Krieg der Religionen« aus. Der Pfarrer einer protestantischen Sekte setzte sich an die Spitze des modernen Kreuzzugs und geißelte öffentlich den Islam als »antichristliche Religion«. Der örtliche christdemokratische Bundestagsabgeordnete sieht »in Sachen Gebetsruf die Toleranzgrenze der deutschen Bevökerung überschritten«. In Mannheim, wo

seit März 1995 das mit 32 Metern höchste Minarett Deutschlands steht, verzichteten die Muslime ganz darauf, um den städtischen Frieden nicht zu stören.

Während in Paris, London oder Kopenhagen stattliche Freitagsmoscheen das Zentrum des geistlichen Lebens der Muslime bilden, fehlt so etwas ausgerechnet in der »Weltstadt« Berlin. Daran ändern auch die etwa 40 Moscheen nichts, die meist umfunktionierte Fabriketagen und Turnhallen sind. Die türkische Zeitung Sabah zitierte deshalb jüngst Günter Grass: »Wie die Hugenot-

ten, die aus dem katholischen Frankreich nach Berlin flohen und ihre Kirchen in dieser Stadt bauen durften, muß auch den Muslimen in Deutschland das gleiche Recht zugestanden werden. Deshalb unterstütze ich die Idee des Baus einer Moschee am Ku'damm.« Bei der Berliner Gemeinde deutschsprachiger Muslime -4000 der 190 000 Muslime dieser Stadt - verweist man immerhin auf die neue, noch im Bau befindliche Moschee auf dem Türkischen Friedhof mit ihren über 40 Meter hohen Minaretten. Aber sie liegt so weitab, daß der hier sogar erlaubte

Gebetsruf kein bewohntes Gelände mehr erreicht und so zur Farce wird.

Hinter diesem Kleinkrieg steckt die in der deutschen Bevölkerung weitverbreitete Formel »Islam gleich Fundamentalismus«. Das »Feindbild Islam« setzt sich aus vielen Details zusammen, die von (un)verantwortlichen Politikern produziert oder reproduziert werden. Tauchen einige Moscheen im Verfassungsschutzbericht auf, weil sich dort extremistische Gruppen versammeln, wird sofort auf die gesamte Gemeinschaft geschlossen. Da erklärt im Sommer BND-Präsident Hansjörg Geiger unheilschwanger, die BRD sei bisher von den Anschlägen radikal-islamischer Gruppen verschont geblieben, das müsse aber »nicht automatisch« so bleiben. Und sein Amt warnt Ende 1996 auch ganz besorgt vor einem neuen (russischen) U-Boot Irans. Wenn das - ebenfalls islamische - Indonesien sich hingegegen gleich für mehrere solcher Gefährte deutscher Produktion interessiert, ist das offenbar weniger gefährlich. Islam ist also doch nicht gleich Islam.

Tatsächlich bilden »fundamentalistische« Strömungen heute nur eine Minderheit unter den Muslimen. Daß sie allerdings oft die Meinungsführerschaft haben, liegt auch daran, daß westliche Medien sich gerade auf sie konzentrieren. Das Paradebeispiel ist der »Islam-Experte« Peter Scholl-Latour, dessen letztes Werk gerade vor Weihnachten über die Bildschirme flimmerte und als Buchausgabe bei so manchem Interessierten auf

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