Macht der Leere, Fülle des Raums

In der Schirn Kunsthalle Frankfurt(Main): Yves Klein

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.
Ihm waren nur acht Jahre künstlerische Wirksamkeit beschieden, 1962 ist er im Alter von 34 Jahren gestorben. Ein großer Visionär, der alle Traditionen künstlerischen Schaffens in Frage stellte. Seine Werke - Bilder, Skulpturen, Ausstellungsinstallationen, Schriften, fotografische Dokumente, Bühnen- und Filmszenarien - unterlaufen die gängigen Kriterien der Moderne. Er ging von der reinen Farbe - vor allem dem Blau in der Farbe des Himmels und des Meeres - als Träger des Immateriellen aus und entdeckte die Leere als Grundlage eines neuen universellen Bewusstseins. Die Erfindung des IKB (»International Klein Blue«), eines durchdringenden Ultramarinblaus, das er sich patentieren ließ, die monochrome Malerei, die blauen Schwammskulpturen, der »Sprung in die Leere«, die Feuergemälde, die Luftarchitektur, die Anthropometrien und die Kosmogonien stellen die Etappen einer Expedition dar, deren Risiken und Reichweite der Franzose Yves Klein perfekt berechnet hat. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main hat über 100 Werke aus internationalen Museen und Privatsammlungen zu einer umfangreichen Retrospektive zusammengetragen. Den Auftakt bildet das Monochrom »Ausdruck des Universums der Farbe Bleiorange«, das Klein erstmals als bildender Künstler 1955 im Pariser Salon des Realités Nouvelles zeigen wollte. Es wurde aber vom Salon mit der Begründung abgelehnt, dass eine Einzelfarbe noch keine Malerei ergäbe. Er solle wenigstens eine zweite Farbe, einen Punkt oder eine Linie hinzufügen. Diese frühe Arbeit wie auch weitere monochrome Farbtafeln in Gelb, Weiß, Schwarz, Rot, Rosa und Grün sind nicht als Flächen, sondern als pulsierende Farbfelder zu begreifen, die vom Bildrand in den Raum übergehen.Der Betrachter soll in den unendlichen Raum der Farbe eintauchen und eine Sensibilisierung für das Immaterielle erleben. Vor allem das 1956 entwickelte Ultramarinblau, ein voller, leuchtender, alles durchdringender Farbton von poetischer Kraft, wurde zu seinem Markenzeichen. »Yves Klein le Monochrome«, wie er genannt wurde, hat es aktionistisch vermarktet: Er frankierte Einladungskarten mit blauen Briefmarken, ließ bei der Pariser Vernissage blaue Cocktails reichen, 1001 blaue Luftballons stiegen als erste »aerostatische Skulptur« in den blauen Pariser Nachthimmel auf, ja, er trug sich sogar mit dem utopischen Projekt, die ganze Oberfläche Frankreichs in einen blauen Malgrund zu verwandeln. Nicht weniger spektakulär waren seine Abdrücke von weiblichen Körpern, seine »Anthropometrien« in Blau, Gold und Pink. Ein Modell drückte wie ein »lebender Pinsel« den nackten Körper gegen ein an der Wand befestigtes Papier oder eine Leinwand. Die Formen des weiblichen Körpers, auf die wesentliche Dimension des Rumpfes reduziert, waren für Klein die konzentrierteste Ausdrucksform vitaler Energie. Diesen positiven Abdrücken ist wie den Negativabdrücken, in denen die Körperformen ausgespart bleiben, der Spurencharakter gemeinsam. Der menschliche Körper als Zeichen und zeichnendes Element, die unmittelbare Handschrift des Künstlers ist ausgeschaltet. Diesen Anthropometrien gesellten sich die blauen und rosafarbenen Schwammreliefs und -skulpturen hinzu, die Klein im Anschluss an die Gestaltung der monumentalen blauen Schwammreliefs für das Foyer des Theaters in Gelsenkirchen geschaffen hat. Die mit blauem Pigment durchtränkten Schwämme der Skulpturen suggerieren ein Schweben im Raum, sie veranschaulichen auch den Prozess der Erfüllung und Durchdringung aller Dinge und des Umraumes mit Sensibilität. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Architekten Werner Ruhnau beschäftigte sich Klein mit visionären Entwürfen zur »Luftarchitektur«: Er wollte Wände durch Luftströme ersetzen. Ein Film zeigt in der Ausstellung seinen Raum »Le Vide«, die Leere, den er 1958 in seiner Pariser Galerie gestaltete. Er hat die Wände der leer geräumten Galerie weiß ausgemalt und in einen sensibilisierten und sensibilisierenden Raum verwandelt. Kunst soll nicht mehr als Objekt, sondern ausschließlich im Raum wahrgenommen werden. Die Leere als Kunstwerk; Farbe soll nicht gesehen, sondern empfunden werden. Seit 1960 entstanden, oft mit Farbe und Körperabdrücken kombiniert, seine Feuerbilder - er »malte« mit dem Abdruck des Feuers, als Ausdruck elementarer Energie, um es zu bändigen und zu domestizieren. Die Kosmogonien und »Planetarischen Reliefs« sind Ausdruck für Kleins kosmologisches Weltbild. Er hat geographische Reliefkarten - und Gips- oder Polyesterabgüsse solcher Karten - mit Blau in der Absicht besprüht, damit die rationalen Grenzen und die Scheidung zwischen Land und Wasser zu Gunsten einer universellen Verbreitung des IKB aufzuheben. Die kosmische Sensibilität der Mondlandschaften und -reliefs erinnert an planetarische Körper im Weltraum. Mit den Abdrücken von Naturphänomenen, von Regen, Wind, Gewitter und Pflanzen, wollte er den ewigen Wandel, die unbestimmbaren Dimensionen des Seins und den die Existenz bestimmenden gegenwärtigen Moment erfassen. In den letzten Jahren hat er die Skala von IKB um Pink und Gold erweitert. Diese triadische Präsenz war eine Variation seines Konzepts einer allumfassenden Totalität. Das Spektrum des Monopink kann von tiefem Rot bis zu intensivem Rosa reichen. Und geradezu überwältigt ist man in der Ausstellung von den raumfüllenden goldenen Monochromen (Monogolds) und einer »Kapelle« aus großformatigen blauen Monochromen, die zu den letzten Arbeiten des Künstlers zählen. Die Monogold-Tafeln rufen wirklich das Gefühl von Reinheit und Fülle wie Immaterialität hervor, wenn das nur lose auf dem Bildgrund befestigte Blattgold frei im Raum steht, ätherisch zu vibrieren beginnt und ein konstantes Fließen der Oberflächentonalität erzeugt. Dagegen beschwören die suggestiven ultramarinblauen Felder mit ihren taktilen Oberflächen aus reinem puderförmigen Pigment eine kraftvoll leuchtende Atmosphäre. Klein war ein medialer Erfindungsgeist und perfekter Marktstratege, der mit Performances und spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam zu machen wusste. Nicht alles von ihm hat Bestand, vieles ist als Ideenentwicklung im Raum unvollendet geblieben, aber er hat Grenzen geöffnet und beispielgebend mit dem Prozess der Dematerialisierung hin zum Immateriellen gewirkt: Die Farbe als reine Ausdrucksform frei schwebender Sensibilität im Raum - sie wird belebende, strahlende, sensibilisierende, bezaubernde Fülle. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, 60311 Frankfurt(Main): Yves Klein. Bis 9. Januar 2005, Di, Fr-So 10-19, Mi und Do 10-22Uhr. Katalog 29,80. Internet: www.schirn-kunsthalle.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -