Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Mascha Kaleko: Lesung zum 90. Geburtstag

»Wenn ich Heimweh sage...«

  • Ulrike Grohmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mascha Kaleko, geboren am 7 Juni 1907 in Galizien, ist heute nur wenigen bekannt. Dabei war der Name der jungen Lyrikerin Anfang der drei-ßiger Jahre in einem Atemzug mit Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Joachim Ringelnatz genannt worden: Mascha Kaleko wurde in Berlin mit Gedichten berühmt, die in Zeitungen wie »Vossische Allgemeine«, »Weltbühne« und »Simplicissimus« zu lesen waren. Wie hingetupft beschrieb sie Alltagsdinge in einfacher, scheinbar gewohnter Sprache, ganz mit dem Leben der Leser verbunden. Ihr Debütband, »Das lyrische Stenogrammheft«, konnte 1933 noch erscheinen, ab Mai desselben Jahres stand ihr Name auf dem Index: Mascha Kaleko war Jüdin.

Anläßlich des 90. Geburtstages der Autorin sprach Gisela Zoch-Westphal, die den Nachlaß der Mascha Kaleko verwal-

tet, am Sonntag im Berliner Theater im Palais ihre Gedichte, erinnerte an das Schicksal der Lyrikerin. Diese hatte die Berliner Heimat 1938 in letzter Minute verlassen, konnte jedoch weder in New York noch in den sechziger Jahren in Israel heimisch werden. Sie verdiente den Lebensunterhalt für die Familie, schrieb für die deutschsprachige jüdische Exil-Zeitung »Aufbau« und natürlich Gedichte, schrieb deutsch, fremde Sprache in fremder Umgebung. Mascha Kaleko, die viel Zeit aufwendete, um ihren Mann Chemjo Vinaver beruflich zu unterstützen, wurde ab Mitte der fünfziger Jahre auch in Deutschland wieder publiziert, die öffentliche Resonanz blieb, gemessen am Erfolg der dreißiger Jahre, bescheiden. Vollends isoliert war Mascha Kaleko nach dem Tod des einzigen Sohnes (1968) und ihres Mannes (1973). Einsam starb die Dichterin am 21. Januar 1975 in einem Zürcher Krankenhaus.

Diese Lebenserschütterung ist in den Versen nachzulesen, der Ton wird in den

Arbeiten des letzten Lebensjahres härter, sarkastischer- Hatte die Autorin ihre ironisch gebrochene Freundlichkeit nirgendwo aufgegeben, so sind die späten Gedichte bittere, verzweifelte Rufe nach Hilfe, haßerfüllt sind sie nicht. So heißt es in »Heimweh wonach?«: »Wenn ich Heimweh sage, sag ich Traum./ Denn die alte Heimat gibt es kaum./ Wenn ich Heimweh sage, mein ich viel:/ was uns lange drückte im Exil./ Fremde sind wir nun im Heimatort./ Nur das Weh, es blieb./ Das Heim ist fort.«

Lebensweg und Arbeiten der Autorin brachte Gisela Zoch-Westphal während der Veranstaltung immer wieder in Beziehung zueinander Schade nur, daß sie Verse, Tagebuchnotizen, Auskünfte anderer über die Kaleko immer in gleicher Tonlage vortrug, pathetisch werbend. Die Verse hätten dieses Pathos nicht gebraucht, sie überzeugen mit Schlichtheit, vielleicht aber hätten die Zuhörer gern etwas über die Bindung der Schauspielerin und Biographin Zoch-Westphal an Mascha Kaleko erfahren. - Wer sich für die Autorin und ihren Lebensweg interessiert, dem sei der im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienene Band »In meinen Träumen läutet es Sturm«, Gedichte und Epigramme aus dem Nachlaß von Mascha Kaleko empfohlen, herausgegeben und einfühlsam eingeleitet von Gisela Zoch-Westphal (160 Seiten, 12 DM).

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.