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  • Politik
  • Die Schauspielerin Camilla Spira ist 91 jährig gestorben

Die Bühne - das Leben

  • Martin Mund
  • Lesedauer: 4 Min.

Camilla Spira auf einem Foto aus dem Jahre 1992

Foto: dpa

Zum letzten Mal trat sie 1990 vor die Kamera, in einem Film namens »Die ungleichen Schwestern«. Es war die Geschichte ihres Lebens - und des ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Steffie. Während Steffie Spira immer für ihre kommunistischen Ideale eingetreten war, sich als politische Künstlerin verstand und schon in den 20er Jahren in linken Theatergruppen engagierte, galt Camilla Spira als Aktrice, die sich aus den Umbrüchen dieses Jahrhunderts eher heraushalten, sich ganz der Kunst widmen wollte. Camilla Spira: «Es kann sein, daß die Bühne für mich eine Art Flucht vor dem Leben wurde.« Beifall sei ihr stets wichtiger als Brot gewesen.

Camilla Spira, geboren am 1. März 1906, ist am Montag in Berlin gestorben, zwei Jahre nach dem Tod der Schwester. Ausgebildet bei Max Reinhardt, avancierte sie schon mit 24 zum Star. Sie stand neben Ernst Deutsch, Werner Krauss oder Attila Hörbiger auf Berliner und Wiener Bühnen, gab die Emilia Galotti und, in der legendären Uraufführung 1930, die Dirndl-Wirtin Josepha im Singspiel vom »Weißen Rößl«. Diese Erfolgsrolle spielte sie, bis sie 1933 als Halbjüdin aus dem Theater vertrieben wurde. Daß das Publikum zum erzwungenen Exodus jüdischer Künstler größtenteils schwieg, war eine bittere Enttäuschung.

Auch nachdem sie 1938 das Land verlass'en hatte, blieben ihr die Nazis auf den Fersen. Nach der Okkupation Hollands wurde sie in einem Viehwagen ins

Lager Westerbork gebracht, eine Durchgangsstation nach Mauthausen oder Auschwitz. Nur die Notlüge ihrer Mutter rettete ihr Leben: Sie sei nicht das Kind eines jüdischen Vaters, sondern eines anderen, eines »Ariers«. Die Partnerschaft der blonden, blauäugigen Camilla Spira mit ihrem jüdischen Mann, dem Rechtsanwalt Hermann Eisner, wurde von nun als »Mischehe« eingestuft; so kamen sie in Amsterdam über die Nazizeit.

Ungeachtet dieser Erfahrungen blieb Camilla Spira auch nach dem Zweiten Weltkrieg einem direkten politischen Engagement fern. Den Aufbau einer »neuen Ordnung« im deutschen Osten, von ihrer aus der mexikanischen Emigration zurückgekehrten Schwester vehement unterstützt, registrierte sie distanziert; das Demokratiemodell des Westens lag ihr da wesentlich näher Daß es ausgerechnet die Rolle der Waschfrau Guste in Kurt Maetzigs DEFA-Film »Die Buntkarierten« (1949) war, die sie* wieder in die erste Reihe der deutschen Filmschauspielerinnen hob, korrespondierte zwar kaum mit

ihrem bürgerlich-gepflegten Lebensstil. Aber ihrer Kunst, sich zu verwandeln, kam diese Figur bestens entgegen. Noch zweimal trat sie bei der DEFA auf, als Wöchnerin in »Semmelweis - Retter der Mütter« (1950) und als Frau Reich in »Die lustigen Weiber von Windsor« (1950). Danach spielte sie nicht mehr in Babelsberg, das ideologiegetränkte Kino stieß sie ab; vermutlich beugte sie sich auch einer Order ihres Schiller-Theater-Intendanten Boleslaw Barlog, der eine Mitwirkung seiner Ensemblemitglieder an östlichen Filmen untersagte. Man befand sich schließlich mitten im Kalten Krieg.

Camilla Spira erklomm wiederum die Höhen eines Bühnenstars, widmete sich klassischen und zunehmend auch modernen Stücken. In Wolfgang Staudtes Satire »Rosen für den Staatsanwalt« (1959) war sie die bornierte Ehefrau eines ehemaligen Nazirichters, der in der Bundesrepublik zu neuem Ansehen gekommen ist. Vielleicht waren es gerade solche Aufgaben, mit denen sie sich von einem Film ihrer Jugend distanzierte: 1932 hatte sie nämlich auch an »Morgenrot« mitgewirkt, jenem nationalistischen Durchhalteepos, das 1933 sogar von Premierengast Hitler gefeiert worden war

Im September 1990 erzählten die beiden Spira-Schwestern bei den »Berliner Lektionen« des Renaissance-Theaters aus ihren Biographien. Freundlich, aber bestimmt forderte Camilla die ältere Steffie auf, den »lebenslangen Irrtum«, den Glauben an den Kommunismus, nun endlich zu bereuen. Schließlich sei das System in die Katastrophe geschliddert und für immer diskreditiert. Steffie lehnte das Ansinnen vehement, ab: »Nein, es war mein Leben ...« - Ich bin mir sicher, daß man über die so unterschiedlichen Wege der beiden, ihre Irrtümer und existentiellen Konflikte, auch in Zukunft Filme und Bücher machen wird: Sie sind ein Spiegel des 20. Jahrhunderts, ein faszinierendes Abbild unserer Zeit.

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