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  • Politik
  • Heinrich Brandler - Ein oppositioneller Kommunist

Gegen Unteroffizierston in der Partei

  • Jens Becker und Harald Jentsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Heinrich Brandler starb am 26.9.1967

In seinen 86 Lebensjahren hat Heinrich Brandler alle Höhen und Tiefen eines Revolutionärs durchlebt. Was diesen politischen Praktiker auszeichnete, war die Ausrichtung seiner Politik an den Alltagsnöten des Proletariats, welche der selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammende Brandler genauestens kannte. Er blieb jenem vielschichtigen Milieu proletarischer Klassenorganisationen stets verbunden, das für ihn zu einer wichtigen Sozialisationsinstanz wurde.

Der im böhmischen Warnsdorf geborene Maurergeselle stillte seinen Bildungshunger in den Arbeiterbildungsvereinen Hamburgs, Bremens und Zürichs, wo er als Bauarbeiter und Wanderlehrer tätig war Daneben engagierte er sich in der SPD und dem Deutschen Bauarbeiterverband, dessen Chemnitzer Zweigstelle er ab 1913 zusammen mit Fritz Heckert leitete.

Während des Ersten Weltkrieges eskalierten die Auseinandersetzungen mit der auf Klassenkompromiß und Burgfrieden bedachten SPD-Führung. Trotz Polizeiüberwachung baute Brandler Sachsen zu

einem der wichtigsten Stützpunkte des Spartakusbundes aus. Die Gründung der KPD erschien ihm als logische Konsequenz, weil sich die SPD durch ihr Versagen 1914 und bei der Novemberrevolution 1918 diskreditiert hatte. Gleichwohl kannte er den Einheitswillen vieler Arbeiter und setzte ihn in der konkreten Tagesarbeit soweit wie möglich um.

Tat sich der 1919 in die KPD-Zentrale gewählte Brandler noch während des Kapp-Putsches bei der Formierung einer Einheitsfront im Chemnitzer Bezirk als Realpolitiker hervor, versagte er 1921 als frischgewählter Parteivorsitzender bei der sogenannten März-Aktion. Angespornt von Moskauer Emissären hatte die KPD-Führung im Bezirk Halle-Merseburg die Revolution herbeiputschen wollen. Der Fehlschlag blieb für Brandler eine Lehre. Der im November 1922 erneut zum leitenden Sekretär des Politbüros Gewählte verwies fortan Ruth Fischer und andere Parteilinke auf das Scheitern der damals angewandten »Offensivtheorie«. Auch innerhalb der Kommunistischen Internationale (KI) setzte Brandler alles daran, diesen Irrweg durch Einheitsfrontpolitik zu ersetzen. Diese sollte im Krisenjahr 1923, das durch die anhaltende Hyperinflation zur Massenverelen-

dung führte, der KPD zur Regierungsmacht verhelfen. Das »rote Sachsen« diente als Testfall. Dort gelte es, so Brandler, die Bereitschaft zu demonstrieren, zusammen mit der SPD »den mit dem papiernen Stimmzettel eroberten sächsischen Staat in den Dienst... der Arbeiter zu stellen«. Sollten die SPD-Führer wieder einmal kneifen, würden noch vorhandene demokratische Illusionen der Arbeiterklasse zerstört und die Chancen

einer proletarischen Revolution verbessert.

Im September 1923 beugte sich der taktierende KPD-Chef dem Aufstandsplan für den »deutschen Oktober«, der vor allem von Sinowjew und Trotzki durchgesetzt worden war Der Eintritt in die sächsische Regierung sollte zu dessen Vorbereitung dienen. Vergeblich forderte Brandler auf der Chemnitzer Betriebsrätekönferenz den Generalstreik. Für den »Oktoberrückzug«, ein »Begräbnis dritter Klasse« (August Thalheimer), übernahm er die Verantwortung, was das Ende seiner Parteikarriere bedeutete. Das Odium, die Revolution verraten zu haben, wurde Brandler nun nicht mehr los. Neben »Trotzkismus« avancierte »Brandlerismus« zum Synonym für »parteifeindliche Abweichungen«.

Brandlers Moskauer Exiljahre - u.a, arbeitete er im Obersten Volkswirtschaftsrat und als stellvertretender Vorsitzender der Bauern-Internationale wurden von einem von der Berliner KPD-Zentrale beantragten, aber gescheiterten Ausschlußverfahren aus der KPD und Schikanen überschattet. Gegen den 1928 einsetzenden ultralinken Kurs (Sozialfaschismus-These, Gewerkschaftsspaltung) und die »Unteroffiziersmethoden« der korrupten KPD-Spitze (Thälmann-Wittorf-Affäre) hoffte Brandler, die Mehrheit der Parteimitglieder zur Erneuerung der kommunistischen Bewegung mobilisieren zu können. Insofern verstand sich die von Brandler, Robert Siewert, August

Thalheimer, Jakob Walcher und anderen sogenannten Rechten gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) als »organisierte kommunistische Richtung«. Der Ausschluß der »rechten« Opposition 1928/29 beschleunigte die Stalinisierung und die schematische Adaption russischer Erfahrungen und Methoden, die gerade von dieser Opposition entschieden kritisiert wurden.

Der Vormarsch der NSDAP konnte Brandler zufolge nur gemeinsam von den wichtigsten Arbeiterorganisationen gestoppt werden. An deren Desinteresse scheiterte nach dem Sturz von Reichskanzler Brüning ein entsprechender, von Brandler am 1. Juni 1932 initiierter Vorstoß. Brandlers Einschätzung von 1935, die Geschichte der KPD-0 sei die Geschichte des Kampfes um die Einheitsfront und die damit zusammenhängenden Probleme, traf daher den Nagel auf den Kopf.

Nach dem Exil in Frankreich und Kuba kehrte Brandler 1948 nach (West-)Deutschland zurück. Wolfgang Abendroths Vermutung, Brandler habe auch damals, angesichts der sich abzeichnenden kapitalistischen Restauration, nicht resigniert und eine Isolierung in Kauf genommen, ist zutreffend, weil für ihn KPD und SPD keine Alternative darstellten. Statt dessen setzte Brandler erneut auf die Erziehung kleiner Arbeiterzirkel als, wie Wolfgang Abendroth formulierte, »Ferment neu erwachenden sozialistischen Kampfwillens« ...

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