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  • Politik
  • Einar Schleef inszenierte Jelinek-Uraufführung am Wiener Burgtheater

Sport-Stück mit Nachspiel

  • Joachim Lange
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Intendant Claus Peymann den Theaterfanatiker Einar Schleef einlud, die Uraufführung des neuesten Stücks von Österreichs bekanntester und polarisierendster Autorin in Szene zu setzen, war das auch eine souveräne Entscheidung, die Belastungsfähigkeit seines Hauses zu testen. Und nicht nur das, er zahlt auch noch ein paar Schilling privat drauf. Zwanzig vor Elf unterbrach der Regisseur die Vorstellung, um gemeinsam mit seinen Schauspielern durch einen Kniefall den Intendanten dazu zu bewegen, über das gewerkschaftlich festgelegte Ende von 23 Uhr hinaus spielen zu dürfen. Er hatte damit dieses eine Mal Erfolg, denn das Regiegenie Schleef war über seine Ufer getreten und hatte mit seinem »Theater total« nicht nur das Premierenpublikum, sondern auch den Intendanten mitgerissen. Die aufnahmeund leistungswilligen Zuschauer bekamen so nicht nur Theater als Kunstprodukt, sondern auch Theater in seiner Entstehung ' geboten. Samt einer weiteren Verlängerung, die aus einer Mischung von Jubel für die Protagonisten, den Regisseur und die Autorin, Chorgesängen der Schauspieler und einer ausdrücklichen Liebeserklärung Schleefs für Wien und die österreichische Kultur bestand, dauerte dieser außergewöhnliche Abend bis weit nach Mitternacht. Und dabei waren diese sechs Stunden nach den Worten des Regisseurs nur die Kurzfassung.

Aber wovon eigentlich? Elfriede Jelineks »Ein Sportstück« ist eigentlich kein Stück und Sport ist auch nicht sein eigentliches Thema. Es ist eher ein kulturund sprachkritischer Endlosmonolog mit verteilten Rollen und aggressiven Handlungsanweisungen. Gelesen wirkt er mitunter fast ein wenig melancholisch resignativ, wobei zuweilen ironisch gemilderte Bissigkeit aus dem Textfluß aufspritzt. Er handelt von Massenphänomenen wie Leistungszwang und Körperkult,

von Formen der Gewalt, der Beziehung zwischen Sport und Krieg und deren medialer Aufbereitung. Er handelt aber auch von Österreich und den Befindlichkeiten der Autorin. Elfi Elektra ist der beziehungsreiche Name einer Hauptfigur, deren Schlußmonolog Schleef, in seiner unnachahmlichen Art, Sprache zu zelebrieren, selbst übernimmt. Die Entscheidung für den »Wunschregisseur« der Autorin war ein Glücksgriff. Beide verbindet nicht nur die Affinität zur musikalischen Komposition von Texten und ihrer rhythmischen Umsetzung in Bewegung und Raum, es ist vor allem die unerschöpfli-

che Phantasie Schleefs, mit der er sich über den Text her (und ihn damit theatertauglich) macht.

Eine leere, weiß ausgeschlagene Bühne bietet Raum für faszinierende Bildlösungen und die suggestiven Bewegungsund Sprechchoreographien. Damit wird dem Text Leben eingehaucht und manchmal auch eingepeitscht. Die Bilder haben immer genügend Zeit, Wirkung zu entfalten, sich einzuprägen, aber auch zu provozieren. Dabei hat der Chor eine zentrale Stellung: Mit schier endlos - fast 30 Minuten - wiederholten Bewegungsabläufen des formiertgn^gnsembles, das ri-

tuell übers Knie bricht, boxt, tritt und den Kopf vor die Wand knallt, wird vorgeführt und nicht nur (wie im Text) behauptet, wie Gruppen vereinnahmen und Gewalt möglich machen. Für die Darstellung der latenten Aggressivität des Sportund Körperkults und von deren innerem Bezug zu den (Nicht)denkhaltungen, die Krieg ermöglichen, wird so kein Tropfen Theaterblut benötigt.

Wenn beispielsweise dieser Chor plötzlich wie auf einen Schlag umfällt und man voller Bewunderung für die physische Leistungskraft des Ensembles durchatmet, erheben sich ein Mann und eine

Frau wieder und singen ein Duett aus »La Traviata«, als wäre nichts gewesen, bis dann in einer weiteren Steigerung abwechselnd Männer- und Frauengruppen an die Rampe spurten und ein und dieselbe Textsequenz immer wieder aggressiv ins Publikum schleudern. (Eine Steigerung, die, wie der Dialog der beiden Schwestern aus der Hoffmannsthal-Elektra und eine atmosphärische Ballspielszene, die Volkstümelei und Sonnenwendromantik bloßstellte, dem Kürzungszwang in den folgenden Vorstellungen zum Opfer fiel.) Den Momenten militanter Körperlichkeit, zu deren eindrucksvollsten die kopfüber an einem Fuß an Stahlseilen hängenden nackten jungen Männer zählten, stehen andere der Ruhe gegenüber Manchmal wird aus der völligen Dunkelheit gesprochen oder zart verklingend in die Dämmerung gesungen. Der Text wird von den vorzüglich agierenden Schauspielern auch beim Skandieren völlig verständlich gesprochen und behält so seine witzig ironischen Brechungen, die sich aus der Collage von hohem Ton und Alltagssprache ergeben.

Die Autorin hat wenige Szenenanweisungen gegeben und dann vermerkt, man könne es so oder auch ganz anders machen. Schleef hatte sich fürs anders machen entschlossen, und das war gut so. Daß den Schauspielern im rein physischen Sinne ein mit Bravour bewältigtes Hochleistungstheater abverlangt wurde, mag man bei einem Text, der den Leistungssport aufsein aggressives Potential hin befragt, als ironische Pointe auffassen. Spaß gemacht hat es den Akteuren augenscheinlich.

Als das Publikum der in Österreich geliebten und gehaßten Autorin mehrheitlich zujubelte und die wenigen Buhrufe übertönte, hatte das etwas vom Sich-selber-Mutmachen gegen die »Bewegung«, von der in Österreich in letzter Zeit häufiger die Rede ist, und auf deren »Führer« im Stück mit Fingern gezeigt wurde. Man wird die Ermunterung wohl brauchen können. Eines war dieser Abend ganz gewiß - ein überzeugender Triumph des Theaters, vor allem aber Einar Schleefs und seiner genialen Art, Theater zu machen!

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