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  • Politik
  • FRAUENGESCHICHTE(N): Susanne Kerckhoff

Eine vergessene Dichterin

  • Lisa Hertel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer erst einmal vergessen ist, wird es lange bleiben. Aber auch Literaturgeschichte vollzieht sich in Schüben und Sprüngen. Die Schriftstellerin Susanne Kerckhoff (1918-1950) hat in den ersten Nachkriegsjahren das literarische Leben in Berlin wesentlich mitbestimmt. Heute nicht mehr relevant?

Aufgewachsen in einer bürgerlichen Künstlerfamilie im Berliner Westen, begann sie schon als junges Mädchen zu schreiben. Nach Kriegsende wollte sie sich auch politisch engagieren, trat erst der SPD, bald darauf der SED bei, nachdem sie sich entschlossen hatte, in der SBZ zu leben. Sie schrieb Gedichte und einen Roman, arbeitete als Kulturredakteurin und war seit 1948 Feuilletonchefin der »Berliner Zeitung«. Auf dem Ersten deutschen Schriftstellerkongreß 1947 spricht Susanne Kerckhoff voller Selbst-

bewußtsein als Vertreterin der jungen Autorengeneration. Sie kann durchaus nicht in Anspruch nehmen, zur Inneren Emigration zu zählen, denn in der Nazizeit hatte sie drei eher belanglose Frauenromane veröffentlicht. Auf dem Kongreß bekennt sie, »wie wir alle leiden darunter, daß wir nicht das Wort gefunden haben, daß wir nicht illegal gekämpft haben - wir, die wir es eben nicht getan haben«. Und sie spricht von ihrer Scham. Ihr jüngerer Halbbruder Wolfgang Harich (beide Kinder des Literaturhistorikers und Schriftstellers Walther Harich) stand zeitlebens in einer engen Beziehung zu ihr; wechselseitige Einflüsse sind vielfältig nachweisbar in beider Werk. 1948 erscheint Susanne Kerckhoffs Buch »Berliner Briefe«, fiktive Briefe aus dem Nachkriegsberlin an einen emigriertem jüdischen Jugendfreund in Paris. Darin wirbt sie mit ihrer Kritik an den inneren Strukturen der SED vehement für ein offenes, breites Verständnis von Demokratie und demokratischer Kultur »Die So-

zialistische Einheitspartei, die ohne Einigkeit einte, dient einem weltumspannenden Sozialismus sehr ungenügend, wenigstens in ihren täglichen Praktiken, die oft mehr korrupt als marxistisch sind.« Sie aber wollte sich bekennen. Die Last der Teilung in Lager, des schnellen Aufflammens des Kalten Krieges zeichnete auch ihre Existenz.

Als Lyrikerin war sie auf dem Wege, das aus sich zu machen, was ihr einen Platz in der Literaturgeschichte gesichert hätte. Die Gedichtbände »Menschliches Brevier« und »Das innere Antlitz« zeugen davon. In dem Moment jedoch, als sie glaubte, ihre Funktion im jungen sozialistischen Staat ausfüllen zu müssen, indem sie politisch-agitatorische Tageslyrik verfaßte, Verlor ihre Lyrik an Substanz und an Subjektivität. Sie wurde plakativ. Susanne Kerckhoff spürte, daß sie so nicht weiter kam.

In den letzten Monaten ihres Lebens entstanden dann allerdings wieder Texte, die zum Schönsten und Intensivsten ge-

hören, was Dichterinnen zur deutschen Nachkriegslyrik beitrugen. Ein letzter Versuch; sich selber wiederzufinden. Doch eine Liebesbeziehung, die sich nicht realisieren ließ und auch an politischen Rücksichtnahmen scheiterte, brach schließlich ihre Widerstandskraft. Zudem war ihre Ehe geschieden und die drei Kinder dem in den Westzonen lebenden Ehemann zugesprochen worden, weil sie »bei einer Kommunistin schlecht aufgehoben« seien. Diese gewaltsame Trennung findet Ausdruck in ihren Gedichten, sie muß mehr Kraft gekostet haben, als sie aufbringen konnte.

Am Ende reichte ihr Mut nicht aus, den Krisen standzuhalten. Im März 1950 nahm sie sich das Leben. Allein das galt ihren Genossen als Konfrontation. Auch dies ein Grund, in die Vergessenheit gestoßen zu sein. Kein Autorenlexikon und keine Literaturgeschichte der DDR kannte ihren Namen. Arnold Zweig, einer der Freunde, die der Toten Abschiedsworte widmeten, erinnerte sich an die schöne junge Frau, die in seinem Garten ihre Gedichte vorlas, und schrieb: »Aus welchen Bestandteilen mischte sich Dir der Trank, der Dir die Lust am Leben vergällte?« Sie hatte nicht genügend Zeit, als Dichterin zu reifen. Am 5. Februar wäre sie'80 Jahre alt geworden.

4. Februar 1928: Hendrik Antoon Lorentz, niederländischer Physiker, in Haarlem gestorben. Der jahrelang als Professor in Leiden tätige Wissenschaftler war beteiligt am Ausbau der Relativitäts- und Quantentheorie. 1902 erhielt er den Nobelpreis für Physik.

6. Februar 1888: Bismarck hält im Deutschen Reichstag seine berüchtigte Rede, in der er den Satz prägt: »Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt!«

7. Februar 1478: Sir Thomas More (Morus) in London geboren. Als Heinrich VIII. sich von Katharina scheiden lassen wollte, legte er Einspruch ein und sein Amt als Kanzler nieder. Als er sich weigerte, den Suprematseid zu leisten, wurde er 1535 zum Tode verurteilt. Sein berühmtes Werk überlebte die Jahrhunderte: »Insula Utopia«.

8. Februar 1828: Jules Verne in Nantes geboren. Seine phantastisch-abenteuerlichen Erzählungen haben teilweise der Entwicklung der modernen Technik vorausgegriffen. Er starb 1905 in Amiens.

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