- Politik
- Der Bildhauer Jo Jastram wird 70
Realismus zwischen Sicherheit und Bewegung
Die eigene Biografie nicht ändern« zu wollen und zu können, hat Jo Jastram im Oktober '90 in einem Interview bekannt und hat es mit seinem Werk bekräftigt - bis zum heutigen Tage, an dem der auf einem Mecklenburger Dorf lebende und arbeitende Bildhauer 70 wird.
Als das ancien regime in jener scharfen Rechtskurve in den Straßengraben der Geschichte geschleudert wurde, hat der Realist von lange gewachsener Sicherheit, Beweglichkeit und Formphantasie seinen selbstgewählten Weg fortgesetzt, scheinbar unbeirrt, aber wach reagierend. Zur freien Beherrschung der künstlerischen Gesetzmäßigkeiten, wie sie in der DDR ungeachtet aller Beengungen zu erlangen war und an seiner Entwicklung ablesbar ist, hat Jastram als gefragter Hochschullehrer und Leitbild nachwachsender Plastiker nachhaltig beigetragen.
Unverwechselbar hat er erlebter und intensiv beobachteter Realität mittels seines zahlreichen, eigentümlichen Bildpersonals bildhauerischen Ausdruck verliehen. Unverwechselbar zugehörig ist er aber auch der mittleren Bildhauergeneration seines Landes, die mit Bewahrung wie Erneuerung der großen Traditionen des Jahrhunderts der noch zu vereinigenden zeitgenössischen deutschen Kunst ein »Erbe« geschaffen hat. Ein anspruchsvolles, wegen seines vitalen, vielgestaltigen Realismus jedoch für den jetzt herrschenden Kunstbetrieb ein eher störendes.
Aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrt, begann Jastram seinen künstlerischen Weg mit Lehre und Fachschule als Holzbildhauer, wechselte zum Studium bei Arnold in Dresden und bei Drake in Berlin und ließ sich 1956 in seiner Geburtsstadt Rostock nieder Nach seinem ersten, sogleich politischen Auftrag, einem Mahnmal für die bei Wöbbelin verscharrten Nazi-Opfer, schuf er auf der Rostocker Langen Straße, was sein Biograf einen »jugendlichen Geniestreich« nannte, eine Brunnenwand aus vier steinernen zweiseitigen Durchbruchreliefs, deren schwere Formsprache schon in den Reliefs an der Greifswalder Rathaustür aufgehoben wurde. Eine späte Aufhebung besonderer Art wurde die Arbeit des er-
fahrenen Plastikers, wieder in Rostock, der vielfigurige, unkonventionell offen und spielerisch ins Platzensemble komponierte »Brunnen der Lebensfreude« (1975-1978, mit Reinhard Dietrich). Dazwischen eine dichte Folge von öffentlichen baubezogenen Arbeiten: Ehrenmal
für die Opfer des ehemaligen KZ Barth, Giebel-Reliefs in Guben, Universitätsrelief und Familiengruppe in Rostock, fünfteilig doppelseitiges Hochrelief »Lob des Lernens« und »Lob der Dialektik« in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, Brunnenrelief für Greifswald, Wandrelief für das Haus der
Kultur Gera und die 6,5 Meter breite Reliefwand »Entwicklungsgeschichte der Menschheit« im Volkskammereingang des Palastes der Republik.
Obwohl dergestalt im öffentlichen Raum gefordert, war Jastram nie ein »Monumentalist«. In der Stille des Ate-
liers schuf er eine erstaunliche Zahl von kleineren, teils ganz privaten Reliefs und viele Plaketten. Seine Porträtköpfe, 1957 mit dem »Bootsmann Jule« schon fast meisterhaft beginnend, bilden eine spannende Reihe plastisch hochdifferenzierter, psychologisch eindringlich gestalteter Zeitgenossen, fast ausschließlich aus persönlicher Zuneigung entstanden. Die größte Bekanntheit unter seinen Figurengruppen erreichten die »Ringer«, die u. a. 1977 auf der documenta in Kassel gezeigt, aber, irgendwo abgestellt und keinem der Trends angepaßt, leicht ignoriert werden konnten.
Seit 1961 hat Jastram Studienreisen unternommen, zuerst nach Usbekistan, dann in die Mongolei, nach Sibirien und Rumänien, später nach Skandinavien und schließlich nach Afrika. Und immer hat sein Schauen in fremde Wirklichkeiten seine Bildwelt geformt, thematisch und formal. Bewegungsmotive und locker gruppierte mehrfigurige Szenen, beladene Karren und Steppenreiter, Burjaten und Zigeuner, Tänzer, Händler und umherziehende afrikanische Familien bevölkern sein Atelier und seine Ausstellungen. Sicher vermeidet er die in der kleinformatigen Schilderung immer lauernde Niedlichkeit und gelangt selbst im Kleinformat zu großen Ver-Dichtungen seiner in der Fremde erlebten Gegenstände.
Im weiten Bogen dieser Gegenstände nehmen Tiere immer wieder eine werkspezifische Stellung ein, vor allem Pferde. Sein Interesse an ihnen erwächst ebenso aus ihrer vitalen, kreatürlichen Charakteristik wie aus den mit ihren Formen und Bewegungen den Bildhauer herausfordernden Reizen und Schwierigkeiten. Das jüngste Zeugnis, »Totes Pferd« (1986-2001 - also noch in Arbeit!), vermittelt im Vergleich zum »Wälzenden Wallach« von 1971 die Auflösung der Volumina und Verflüchtigung der Körperlichkeit. Zu beobachten war sie zuvor noch mehr in den afrikanischen Szenen, Darstellungen von Stelzengängern, Anglern und Fischern, von Booten, Seglern und Flößen - ein geradezu demonstrativer bildhauerischer Szenenwechsel. Mit den zerbrechlichen Gestängen und papierdünnen Formen, mit den vorbeiziehenden oder zusammengekauert warnenden' Skeletten, die eine / Epoche' entfernt sind von den überquellend lebensprallen Gestalten von 1962 bis in die 80er Jahre, sendet der 70jährige Signale eines Zeitenwechsels aus. Und beweist noch einmal die geistige Beweglichkeit und Wandelbarkeit des erfahrenen Realisten.
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