»Sie lagen an der Tür und wurden immer stiller«
Ähnlich detailliert berichtet Alison Leslie Gold in ihrem Büchlein »Erinnerungen an Anne Frank«. Sie erzählt, daß Annes Freundin und Mitschülerin Hannah Goslar nach dem Untertauchen der Franks geglaubt hatte, ihnen sei die Ausreise in die Schweiz geglückt. Bis sie selbst nach Bergen-Belsen deportiert wurde und dort Anne wieder traf und wieder von ihr getrennt wurde. Erst als sie in Holland zurück war, erfuhr sie durch Annes Vater vom Hungertode seiner Frau und seiner beiden Töchter Margot und Anne. In einem Nachwort propagiert Lea Rosh ihr Holocaust-Denkmal »zur Erinnerung an Anne Frank«. Was für eine kranke Idee. Millionen besuchen das Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Wie kann jemand auf die Idee kommen, dieses Mädchen brauche in Deutschland ein noch besseres Denkmal?
Auch Mirjam Passler hat in ihrem neuen Buch »Ich sehne mich so« Lebens-
und Todeszeichen von Anne Frank zusammengestellt. Die Auskunft von Janny Brandes zum Beispiel, Anne sei im Lager Belsen typhuskrank zu ihr gekommen, nur in eine Decke gehüllt. Sie habe dem dünnen Mädchen ein paar Kleidungsstücke gegeben und etwas Brot. Aber als sie drei Tage später nach Anne und Margot sehen wollte, waren beide schon tot. Rachel van Amerongen war mit den beiden sterbenden Mädchen in einer Baracke. Sie lagen direkt an der Tür, die immer auf und zu ging und wurden immer stiller »Man sah sie wirklich sterben, beide, zusammen mit anderen ... Sie waren die Jüngsten bei uns... Ich sah sie plötzlich nicht mehr, so daß ich annehmen mußte, daß sie gestorben waren ... Die Toten wurden immer hinausgetragen
und vor die Baracke gelegt. Wenn man morgens hinausgelassen wurde, um zur Latrine zu gehen, mußte man an ihnen vorbei.«
Allerdings: In keinem Buch wird die deutsche Nachkriegsgeschichte von Annes Tagebuch dokumentiert. Der erste Schmutz kam von dem ehemaligen SA-Mann Lothar Stielau, Studienrat an der Oberschule zum Dom in Lübeck. Er hatte am 10. Oktober 1958 in der »Zeitschrift der Vereinigung ehemaliger Schüler« geschrieben: »Die gefälschten Tagebücher der Eva Braun, der Königin von England und das nicht viel echtere der Anne Frank
haben den Nutznießern der deutschen Niederlage zwar einige Millionen eingebracht, uns dafür aber auch recht empfindlich werden lassen.« Dann folgte am 6. Januar 1959 der ehemalige Nazi-Kreisbauernführer Heinrich Buddeberg, Vorsitzender der Deutschen Reichspartei in Schleswig-Holstein, mit einem Leserbrief in den »Lübecker Nachrichten«: Studienrat Stielau werde mit seiner berechtigten Kritik am Tagebuch der Anne Frank von den Sozialdemokraten zum politischen Opfer gemacht. Der rechtsradikale Architekt Heinz Roth aus Odenhausen nannte Anne Franks Tagebuch in Flugblättern einen »großen Schwindel« und »eine Fälschung«. Für den Gründer des »Kampfbundes deutscher Soldaten«, Erwin Schönborn, war das Ta-
gebuch »eine Fälschung« und »das Produkt einer jüdischen antideutschen Greuelpropaganda, um die Lügen von sechs Millionen vergaster Juden zu stützen«. Auch der ehemalige Hitlerjugendführer Werner Kuhnt nannte in seiner »Deutschen Stimme« das Tagebuch »Fälschung« und »Schwindel«, genau wie die Hamburger Rechtsradikalen Ernst Römer, ein ehemaliger Gestapo-Mann, und Edgar Geiss.
In einem intakten Rechtsstaat wären solche hinterhältigen Angriffe als Volksverhetzung und Beleidigung schnell verurteilt worden. Die bundesdeutsche Justiz zog die Verfahren Jahre hin: Annes Vater Otto Frank wurde'immer wieder von Staatsanwälten und Richtern verhört. Der Lübecker Ermittlungsrichter bestellte beim Institut für Zeitgeschichte in München eine Expertise über die Frage, ob Anne Franks Tagebuch echt oder gefälscht sei. Eine Hamburger Lektorin fertigte ein Gutachten zu dieser Frage an. Eine Graphologin mußte eine Arbeit zur Identität von Annes verschiedenen Schriftsachen anfertigen. Eine Expertengruppe wurde nach Basel zu Otto Frank geschickt, der das Manuskript seiner Tochter besaß, und machte dort lange Untersuchungen. Dann erhoben die Anwälte der Rechtsradikalen Zweifel an der sachlichen Kompetenz der Gutachter Ein Obergutachter wurde bestellt. Nachdem das Verfahren drei Jahre gelaufen war, drängte der Gerichtsvorsitzende zu einem Vergleich und- der Rücknahme der Klage, um »unangenehme Folgen« zu vermeiden. Die hohen Kosten, mehr als 10 000 Mark, ließ der Richter aus der Staatskasse bezahlen, der Nazilehrer Stielau kam mit 1000 Mark Selbstbeteiligung davon.
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