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Einsamer Sachse auf Kayak Island

Expeditionskreuzfahrtschiff World Discoverer entdeckte »Robinson«: »Grüßt mal schön zu Hause!« Von Peer Schmidt-Walther

  • Lesedauer: 3 Min.

Pazifikdünung hebt und senkt das Schiff in gleichmäßigem Rhythmus. Seit Stunden nichts als graue Wasserberge ringsum. »Das muß Land sein«, vermutet der Relingsnachbar und zeigt auf einen dunklen, schmalen Streifen am Horizont. Durchs Fernglas sind die Konturen einer Insel auszumachen. Der 4000-Tonner »World Discoverer« des Bremer Seereise-Veranstalters Society Expeditions hält auf die abweisende Steilküste zu. Schlauchboote werden zu Wasser gelassen. Wasserdicht und in Schwimmwesten verpackt, brummen die modernen Entdekker zum drei Seemeilen entfernten Strand.

Ähnlich mußten sich die Männer um den dänischen Kapitän Vitus Bering gefühlt haben. Im Auftrag des russischen Zaren segelte er mit der »St. Peter« von Kamtschatka nach Nordamerika. Am 20. Juli 1741 wurde zwar Land gesichtet, allerdings »nur« Kayak Island an der subarktischen Küste im Nordosten des Pazifiks erreicht.

Historischer und immer noch, wie jedenfalls die Karte ausweist, unbewohnter Boden also, der von der kleinen Gruppe im Spätsommer 1998 betreten wird. »Ich komme mir vor wie ein Entdecker«, begeistert sich Kurt, Hobby-Zoologe aus Berlin.

Doch da kräuselt sich plötzlich aus chaotisch von der See durcheinander gewirbelten Treibholzstämmen eine leichte Rauchfahne. Etwa Indianer? Wenig später taucht im Ufergehölz ein kleines Zelt auf und aus dem Zelt ein hagerer, bärtiger Vierzigjähriger »Ich hab' mich schon

über euern Dampfer gewundert. Herzlich willkommen auf Kayak Island!«, ist im besten Sächsisch zu vernehmen.

Das Erstaunen ist also beiderseits enorm. Bei ihm, der hier niemals mit Menschen gerechnet hätte, bei uns, auf einen Einsiedler zu stoßen: Ullrich Wannhoff aus Dresden. Der künstlerisch ambitionierte Eremit ist noch im vergangenen Jahr auf Vortragsreise durch Deutschland unterwegs gewesen. »Dann grüßt mal schön zu Hause und bestellt den Leuten, daß ich wiederkomme!«, gibt er mit auf den weiten Weg über den Pazifik. Die Welt ist klein.

In wenigen Worten erzählt er seine Geschichte: Mit einem russischen Freund folgte er im Frühjahr per Sieben-Meter-Segelboot den Spuren von Vitus Bering.

Von Petropawlowsk Kamschatski ging der Törn über die Kommandeurs-Inseln, an den Aleuten entlang nach Alaska. Ullrich Wannhoff ist dann allein hier geblieben. »An dieser historisch verbürgten Landungsstelle schreibe ich mein Buch über Bering«, zeigt er eine reich illustrierte Kladde vor.

Auf die Frage, wie er sich versorge, räumt er prosaisch ein: »Mit Trockennahrung. Zum Fischen fehlt mir ein Boot, und die Pilze kenne ich nicht so recht.« Ob er keine Angst vor Bären und Wölfen habe? Die würden einen großen Bogen um ihn machen, auch weil er das Feuer Tag und Nacht brennen lasse. Schlecht ist es um Hilfe in Notfällen bestellt. Nicht mal ein Funkgerät zählt zu seiner Ausrüstung. »Aber noch in diesem Herbst

wird mich ein Flugzeug abholen«, sagt er

Kapitän Oliver Krüß, der Helgoländer mit Stralsunder Verwandtschaft, lädt den Abenteurer an Bord ein. Frisch geduscht, opulent gegessen und den Rücksack voller Lebensmittel setzt Erster Steuermann Robert Parthe aus Trinwillershagen bei Ribnitz-Damgarten den mutigen Sachsen mit dem Schlauchboot wieder vor dessen Behausung ab. »Tschüß und bis zum Winter in Deutschland!«, verabschiedet er sich bei einsetzendem Nieselregen.

Zurück bleibt bald nur noch ein winkender Punkt. »Die Einsamkeit bei dem Wetter könnt' ich nicht ertragen«, schüttelt der Chief Mate den Kopf. Wie fast alle Seeleute kann er »weder Kälte, Regen noch Sturm etwas abgewinnen«.

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