Es ist die erste genaue Erinnerung meines Lebens: Mein Vater hat sich gerade am Schweinfurter Rathauskiosk sein »8-Uhr-Abendblatt« gekauft. Da kommen Rauchwolken von den Häusern im Osten her. »Bei den Juden brennts«, höre ich. Das ist alles. Später wurde mir klar: Das muss die Reichspogromnacht vom November 1938 in meiner Heimatstadt gewesen sein - ich war drei Jahre und zehn Monate alt.
Als ich endlich lesen konnte, verschaffte mir mein Vater Aufklärung und kaufte am Rathauskiosk die bunten Hefte der »Kriegsbücherei der deutschen Jugend«. Ich war begeistert und wusste doch nicht, dass ich in diesen aufregenden Heften schon die journalistische Elite der kommenden Bundesrepublik las. Die Hefte machten mich zum glühenden kleinen Nazi. Als Hitler endlich tot war, schwärmte ich noch lange für den Führer und seine Wehrmacht, bis ich 1947 mit zwölf einem vernünftigen Deutschlehrer und der wohltuenden Wirkung der damaligen Amerikahäuser ausgesetzt war.
Zuvor aber lernte ich von Walter Henkels, dem späteren Bonner Hofchronisten der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland«, wie der Feind aussieht und was man gegen ihn tun muss. Ich erkannte die »Verschlagenheit« in den »Negervisagen« der »Zulukaffern«, die für Frankreich gegen uns Deutsche kämpfen. Ich drang in die Kurviertel von Vichy ein, wo »die Juden, die Pariser Kavaliere« nicht mehr »lustwandeln«, wo jetzt die Franzosen »davonstieben«. Und schritt zur Tat: » funken wir unseren Feuersegen hinüber. Tacktacktack keckern die braven Kanonen, auf die soviel Verlaß ist und deren Schießen einem ungeheure Sicherheit verleiht, immerzu tacktacktacktack. Wie ein gewaltiges Feuerwerk prasselte die Wucht unseres zusammengefaßten Feuers denen drüben gegenüber.« So lernte ich es 1943 im Kriegsheft »38 Mann stürmen Vichy« von Adenauers späterem Lieblingsjournalisten Walter Henkels.
Ich saß im Tank von Jupp Müller-Marein (»Panzer stoßen zum Meer«), der sich später als Chefredakteur der »Zeit« Josef nannte - 1962, als ich meinen ersten Artikel für dieses Blatt schrieb. Und mit Henri Nannen, für den ich später zeitweise beim »Stern« arbeitete, verband mich das »Störungsfeuer von "M17": ein Flaksoldat bestand seine Feuerprobe«.
1953 ging ich zum Weiterstudium nach Westberlin. Dort brachte der Adenauer-Berater Emil Dovifat jetzt nicht mehr den Soldaten der Propagandakompanien, sondern den Publizistikstudenten der Freien Universität die richtige Gesinnung bei.
Für seine von Generationen von Studenten benutzte »Zeitungslehre« hätte er drei Hörsäle gebraucht, je einen für die Auflagen aus der Weimarer Zeit, aus dem Nazi-Reich und aus der Bundesrepublik. Berühmt ist sein Heine, der 1944 aus »jüdischer, intellektuell überspitzter Haltung« arbeitet, nach 1945 aber verfügt der Dichter über eine »Bilanz des Stiles und der Farbe« - der dumme Dovifat meinte Brillanz.
Einer der fähigsten SS-Kriegsberichterstatter war Joachim Fernau, der bis zuletzt im »Völkischen Beobachter« prophezeite: »Der Sieg ist wirklich ganz nahe.« Dass er der bessere Goebbels war, bewies er in der aufblühenden Bundesrepublik. Er schrieb launige Geschichtsbücher, in denen er Hitler mit Arminius, Friedrich II und Napoleon verglich - und vielleicht ist er ja auch gar nicht tot. Dieser Meister des grobschlächtigen Vergleichs kam von den Bestsellerlisten überhaupt nicht mehr runter, so beliebt war er unter den Westdeutschen.
Auch Giselher Wirsing blieb immer auf der Höhe seiner Zeit. Er war zwar kein SS-Kriegsberichterstatter, arbeitete vielmehr schon vor dem Krieg für den SD. Wirsing spionierte zugleich mit Adolf Eichmann in Palästina herum, das, wie er öffentlich schrieb, für eine »Lösung der Judenfrage« ungeeignet sei. 1941, als die »Endlösung« begann, hielt er bei der Eröffnung des »Instituts zur Erforschung der Judenfrage« den zweiten Hauptvortrag über »Die Judenfrage im vorderen Orient«, nachdem Reichsleiter Alfred Rosenberg zuvor wissenschaftlich einwandfrei eine »Giftigkeit des jüdischen Blutes« bewiesen hatte. Dann aber, als Hitlers Krieg verloren zu gehen drohte, wurde Wirsing »Hauptschriftleiter« der großen »europäischen Illustrierten« Signal, die zwecks Wehrmachtspropaganda herausgegeben wurde. Ein Hochglanzprodukt, Vorbild späterer Nachkriegsillustrierter. Wirsing hatte 1941, überpünktlich zur deutschen Kriegserklärung gegen die USA, eine lang vorbereitete Propagandaschrift »Der maßlose Kontinent« herausgebracht.
Nach dem Krieg im US-Internierungslager Oberursel, wo die Nazi-Elite einsaß, trat er dafür ein, die amerikanische Besatzungszone als 49ten Staat den USA anzuschließen. Wirsing wurde schließlich unter den Fittichen des CDU-Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier Chefredakteur der Rechtsaußen-Wochenzeitung »Christ und Welt«. Er drohte, aber prozessierte nicht, als ich ihn 1967 im »Spiegel« beschuldigte, er habe mit seinen Äußerungen über die Notwendigkeit einer »gewaltsamen Ausscheidung des jüdischen Elements« 1943 die »Zweckmäßigkeit von Auschwitz« begründet.
Das tat auch der Harlan-Film »Jud Süß«, der zwecks Mordertüchtigung den SS-Mannschaften in Auschwitz vorgeführt wurde. Mit der »Sucht des Emporkömmlings« führt der Hofjude Süß Oppenheimer die Sache seines »unseligen Volkes« aus dem »Haß uralter Rachsucht« bis zum »Vernichtungswerk«. Das schreibt Karl Korn im »Reich« über diesen Film und eifert, »wie der dunkeläugige, glatte, schlanke Mann die Bartlöckchen abschert und um die blonde Frau giert«. Als Nachfolger des feinsinnigen Nazis Friedrich Sieburg und Vorgänger des Speer-Ghostwriters Joachim Fest wurde Korn schließlich allseits beliebter Mitherausgeber und Feuilleton-Chef der »Frankfurter Allgemeinen«.
Kaum einer der Nazijournalisten, die nach 1945 Karriere machten, bekam Probleme, wenn sein altes Schriftgut wieder auftauchte. Nur Werner Höfer, der seit Jahrzehnten den sonntäglichen ARD-Frühschoppen moderierte, musste zurücktreten, als der »Spiegel« 1988 veröffentlichte, was Höfer 1943 über den zum Tod verurteilten Pianisten Karlrobert Kreiten nachrief, die »strenge Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers« billigend, der den Führer geschmäht hatte.
Damals schrieb ich ein Buch »Wir Schreibmaschinentäter. Journalisten unter Hitler und danach«. Manchmal wird in Sammelbänden, Fernseh- und Rundfunksendungen fleißig daraus abgeschrieben und das ist gut so, leider. Denn bisher hat sich keine Universität, kein wissenschaftliches Institut dazu bereitgefunden, eine repräsentative Untersuchung über das Verhalten der deutschen Journalisten unter den Nazis zu veranstalten.
Otto Köhler wurde 1935 geboren. Von 1966 bis 1972 war er Medienkolumnist des »Spiegel«. Er schrieb und schreibt u.a. für »Pardon«, »Die Zeit«, »Stern« und »Konkret«, ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Ossietzky« und arbeitet für den WDR. Otto Köhler lebt bei Hamburg.
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