Veraltete Statistik

Bundesweite Daten zur Einkommensteuer sind lückenhaft

  • Wolfgang Kühn
  • Lesedauer: 3 Min.
Im beginnenden Wahlkampf bieten Politiker aus CDU und FDP sinkende Spitzensteuersätze als ein Allheilmittel für die kränkelnde Wirtschaft der Bundesrepublik an. Leider bleibt die Diskussion theoretisch abstrakt nach dem Motto: »Niedrige Steuersätze gleich mehr Wachstum.« Konkrete Daten, wie viel Einkommensteuer die angeblich so stark vom Fiskus belasteten Topverdiener zahlen, bleiben indes Mangelware.
Nur alle drei Jahre unterzieht sich das Statistische Bundesamt der Mühe, die angefallene Einkommensteuer zu durchleuchten. Dieser Tage hat die Behörde nun seine neueste Auswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik der Öffentlichkeit übergeben - für das Jahr 2001. Warum im Computerzeitalter diese Arbeit solange währt, bleibt ein Geheimnis der Wiesbadener Statistiker. Vor einem dreiviertel Jahrhundert gelang es dem Statistischen Reichsamt mit Strichlisten und Rechenbrett, derartige Angaben in der Hälfte der heutigen Frist fertig zu stellen.

Working Poor beim Fiskus
Die heutige Statistik wird vor allem durch die Eingruppierung aller Steuerpflichtigen nach der Höhe ihres zu versteuernden Jahreseinkommens interessant. Dies soll unterschiedliche Steuerbelastungen der einzelnen Einkommensgruppen sichtbar machen. Die erste überraschende Feststellung ist für die rot-grüne Bundesregierung wenig schmeichelhaft: 2001 umfasste die unterste Gruppe der Steuerzahler mit einem Jahreseinkommen bis zu 2500 Euro bereits 2,5 Millionen Steuerzahler, drei Jahre zuvor waren es noch 2,2 Millionen. Die Zahl der »Working Poor« - also der arbeitenden Armen - ist also um über 10 Prozent gewachsen, denn mit einem zu versteuernden Jahresarbeitseinkommen von 2500 Euro und weniger kann nicht einmal das physische Existenzminimum gewährleistet werden.
Derartige Erkenntnisse bleiben im Gerangel der Parteien um den Spitzensteuersatz unbeachtet. Und wie viele Menschen angesichts des Booms von Minijobs und Ich-AGs inzwischen noch dazugekommen sind, werden wir erst in drei bis vier Jahren in der nächsten Auswertung erfahren.
Aber auch in einer anderen Einkommensgruppe gab es zwischen 1998 und 2001 ein exorbitantes Wachstum. Die Zahl der Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 250 000 Euro und mehr hat sich von 105 000 im Jahre 1998 auf 121 000 Steuerzahlern in 2001 erhöht, ein Zuwachs von 15 Prozent. FDP-Chef Guido Westerwelle wird nicht müde zu erklären, dass die hohen Einkommensteuersätze den tüchtigen Eliten der Bundesrepublik die Früchte ihrer Arbeit rauben. Wie tüchtig diese Eliten bisher waren, verrät indes ein Blick in das Innere der Steuerstatistik: Bei stetig wachsenden Mieten und Pachten hat sich die »Leistungselite, die das Land vorwärts bringt«, gründlich blamiert. Jeder zweite Spitzenverdiener mit einem Jahreseinkommen ab 125 000 Euro hat in seiner Steuererklärung bei diesem Posten Einkommensverluste ausgewiesen, die zusammen die Milliardenhöhe mehrfach überschritten. Dagegen hat nur jeder Zwanzigste in den Gruppen mit einem niedrigeren Jahreseinkommen bis 37 500 Euro ein derartiges Ansinnen auf Steuerbefreiung gestellt.

Finanzamt ausgetrickst
Offensichtlich gelingt es nur den Beziehern hoher Einkommen, gesetzliche Regelungen und clevere Steuerberatung zu nutzen, sich arm zu rechnen und so Steuern zu sparen. Von der Schwarzarbeit kleiner Handwerker oder Arbeitslosen, die von »Besserverdienenden« gerne als zu bekämpfendes Übel angeprangert werden, unterscheidet sich dieses Verhalten nur in der Größe der verwendeten Banknoten: Letztere geben sich gewöhnlich mit einem 50-Euro-Schein zufrieden, während Spitzenverdiener erst beim 500-Euro-Bündel beginnen.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal