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  • Politik
  • Armin Stolper behauptet: »Wir haben in der DDR ein ganz schönes Theater gemacht«

DDR und Dramaturg. Ein Schicksal

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Hans-Dieter Schutt

Alles oder Nichts? Dies Apodiktische sei das Giftkraut der Geschichte. So Armin Stolper, und also votiert er eher für »mittlere Werte, menschliche Maßstäbe und lebensnotwendige Kompromisse«. Das ist die Bilanz eines Lebens im Theater und für das Theater und da das Buch im zehnten Jahr nach jenem Herbst erscheint, der die DDR aus der Geschichte trieb, sei gleich noch ein Verhaltenshinweis angefügt, der ins Zentrum von Stolpers Philosophie führt. Er rät, daß man »Sünden, Irrtümer, Ansichten jeglicher Art, die man ein Leben lang mit sich herumschleppt, nicht einfach deshalb ablegen sollte, weil es einem eine andere Gesellschaft nahelegt. Man hat doch nur ein Leben, warum es plötzlich mit einer anderen Lebensanschauung belasten, deren Fragwürdigkeit doch keineswegs anders als die gehabte sei.«

Da spricht der sture Schlesier (der übrigens heute 65 Jahre alt wird), da spricht der sanfte Beharrer auf eine Vernunft, die den 3. Oktober 1990 nicht ihr Verfallsdatum anerkennt. Aber ein wenig klingt es auch wie Selbstschutz und Verbitterung; einem möglichen neuen Horizont, den eine »andere Lebensanschauung« ja ebenfalls anzeigen könnte, verweigert der Autor seinen Blick. Freilich

nennt sein Buch die Gründe, und deshalb liest man es mit Vergnügen und Nachdenklichkeit. Und beides fängt beim Titel an.

»Wir haben in der DDR ein ganz schönes Theater gemacht« - das ist eine dramaturgische Autobiographie. Der 19jährige Philosophiestudent in Jena landet, weil er statt zum Ernteeinsatz an die Radebeuler Landesbühnen geht, auf immerdar am deutschen Stadttheater Ein Schicksal. Das über Senftenberg, Maxim Gorki Theater und Halle ans Deutsche Theater Berlin führt. Stolper, den eine unermüdliche Suche nach neuen Stoffen und Stücken zum Dramatiker macht (mit »Zeitgenossen« und »Der zerrissene Rubel« glückten ihm in Halle, nach sowjetischen Vorlagen, zwei der erfolgreichsten DDR-Bühnenstücke der 70er Jahre), porträtiert Theaterleute, streut Anekdoten ein, führt durchs Wiener Burgtheater, schaut sich in Dublin um - und er ist bei alldem natürlich genauso ein »Kindskopp und Lumpenhund« wie jeder Schauspieler: Er tut zwar zurückhaltend, läßt jedoch in ständiger Bezugsuche zu eigenen Stückfiguren und -geschichten seiner Eitelkeit raffiniert Lauf - und entpuppt sich so als echter Theatermitmacher.

Zu den berührendsten Texten seines Buches zählt für mich das Porträt von Schauspieler Peter Dommisch, Deutsches Theater Berlin. Der von der Rolle des Polonius träumt, die Frauen liebt und vom

Kollegen Fred Düren hört, daß den ausgerechnet der Glaube vom Alkohol befreit hätte. »Der hat es geschafft, bloß, er hat einen großen Preis dafür bezahlt. Er hat nämlich die Lust am Theaterspielen dabei verloren. Vielleicht hätte ich es auch geschafft, wenn ich religiös geworden wäre. Aber das war nichts für mich. Lieber spielen bis zum Schluß.« 56 Jahre alt wurde »Pitt«.

Nicht minder klug, ergreifend und wahrhaftig der Text »Über verschiedene Versuche, mich dem Schauspieler Klaus Piontek auf der Bühne, im Krankenhaus und bei mir zu Hause zu nähern«. Beschreibung eines stilvollen Aufrechten, eines distanzierten Sehnsuchtsvollen. Der geht in München mit dem krebsoperierten Heiner Müller durch den Krankenhauspark und denkt, wie schnell einen doch der Krebs packen kann - und er denkt nicht an sich und hat ihn schon im Leib.

In solchen Beschreibungen von Menschen, die ihm nah sind, erweist sich Stolper als widerspruchssüchtiger Erzähler,da ist die Szene groß gedacht und gut gebaut.

Auch die »teils tragikomischen Erlebnisse mit einem halben Dutzend Intendanten am Deutschen Theater Berlin« sind lebendige, höchst akute Geschichtserfahrung. Indirekt und doch sehr deutlich antwortet der ehemalige Chefdramaturg des DT auf gegenwärtiges politi-

sches Lavieren um Leitungen und Linien an Berliner Theatern. Die Skizzen über Wolfgang Langhoff, Wolfgang Heinz, Gerhard Wolfram und Dieter Mann (in Thomas Langhoff »erkannte er früh seinen potentiellen Nachfolger«) offenbaren, was ein Intendant sein muß und sein kann. Dieses Kapitel liest sich wie eine Aufforderung zum Aufbruch - die Maßstäbe sind doch da, die Erfahrungen abrufbar, die Methoden lebendig! -, und doch ist alles »nur« ein Requiem.

Stolper schildert Sinn und Stumpfsinn von SED-Kulturpolitik, er erzählt mit fast rücksichtsloser Beiläufigkeit von den existentiellen Konflikten gerade am Deutschen Theater des Wolfgang Langhoff. Und Anfang der 70er Jahre trifft er den einstigen Chefdramaturgen des Deutschen Theaters, Heinar Kipphardt, der aus dem Westen gekommen und wieder in den Westen gegangen war Auf ein deutliches Interesse am neuesten Stück Kipphardts antwortet dieser- »Ich weiß nicht, Stolper, ob das etwas für Sie sein wird. Sehen Sie, es handelt sich doch um Fragen der Revolution, und ich bin mir sicher, daß das Lind, in dem Sie leben, an vielem, nur nicht an einer Revolution interessiert ist.«

Stolpers Rückblick ist ein sorgsam abwägendes Erinnern an die Intelligenzfeindlichkeit des Systems - sorgsam eben, weil zugleich bleibende Kunst entstand; wer mag sich anmaßen, die Knäuel zu

entwirren, die das Leben bedeuteten! So wird der Richterspruch vermieden, aber mit dem Selbstbewußtsein erfahrenen Berufs- und Lebensglücks ein Stück deutscher Kultur verteidigt. In einer Gegenwart, welche nach Ansicht Stolpers die DDR-Theatergeschichte und deren europäische Bedeutung auf einen Appendix pauschal zu verurteilender Staatsgeschichte zu reduzieren sucht.

Der Autor umgeht nicht die unglücklichen Punkte seiner eigenen Arbeit, etwa, als 1972 die erfolgreiche Leitung des Hallenser Theaters, eines so überbetont schwungvollen wie ansatzweise kritischen sozialistischen Volkstheaters, mit dem Ziel einer Modellverpflanzung ans DT geholt wurde - und natürlich scheiterte. An der weit höher strukturierten Ästhetik des Hauses.

Schon in einem Text von 1987 deutet sich an, daß Armin Stolper Schwierigkeiten haben wird mit dem Theater nach seiner aktiven Zeit. In dieser »Wahnsinnswelt entfesselter Geister und Gespenster der Vorzeit« möchte er am liebsten, damit etwas Würdiges zur Aufführung käme, die Geburtszange auf die Berliner Szene werfen - in Anlehnung an die Uraufführung von Hauptmanns »Vor Sonnenaufgang« 1889 Da ist er der melancholisch Trauernde, der bekennende Verlierer, der bockige Konservative, und würde ihn heute jemand nach seinem Beruf fragen, so antwortete Armin Stolper nicht etwa: Dramaturg, sondern - »DDR-Dramaturg. Und ich denke, ich hätte allen Grund dazu.«

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