- Politik
- Erlebnisse von DDR-Diplomaten 1990 im Ausland
Blessuren und Blamagen
Von Franz-Karl Hitze
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker betrachtet es »für das historische Verständnis... von Wert, nachzulesen, wie führende Mitglieder des Außenministeriums der DDR während jener Zeit der Teilung und insbesondere in den dramatischen Monaten der Wende gedacht und gehandelt haben«. In seinem Geleitwort zu diesem Buch bekennt er, daß es »notwendig ist..., sich gegenseitig zuzuhören, vielleicht sogar aus unterschiedlichen Erfahrungen etwas voneinander zu lernen«.
In der Tat. Birgit Malchow (1958), Diplom-Journalistin und kurzzeitig, bis zum Ende der DDR, Presseattache in Belgrad, hat sich daran gemacht, Erfahrungen von DDR-Diplomaten zu sammeln und in einem Band zusammenzufassen. Fünfzehn Botschafter schrieben Essays oder gaben ihr ein Interview. Mit analytischer Schärfe und Nachdenklichkeit, freilich nicht frei von Subjektivität, aber mit praktischer Verfaßtheit geben sie Einblick in die von ihnen 1 geleiteten Auslandsvertretungen der DDR und erzählen, wie sie fern der Heimat den schleichenden Untergang ihres Entsendestaates, den Fall der Mauer in Berlin, den »Rücktritt« Honeckers, die
Wahlen vom März 1990 sowie die Währungsunion erlebten. Spätestens im Frühsommer 1990 wußten sie, daß sie alsbald ihre Geschäfte abzugeben hatten. Sie waren oft die letzten, die das Licht ausmachten. Und manch einen beschlich schon ein mulmiges Gefühl, als am 3. Oktober 1990 den diplomatischen Vertretern der Bundesrepublik vor Ort Immobilien und Inventar in Milliardenhöhe übergeben und die Botschaftsschlüssel ausgehändigt werden mußten.
Noch deprimierender war jedoch für viele, mitansehen zu müssen, wie sich Vertreter der letzten DDR-Regierung im Ausland blamierten. Erich Wetzl, Botschafter in Schweden, begleitete im Juni 1990 die neue Präsidentin der Volkskammer der DDR, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, während ihres Besuches bei Parlamentspräsident Thage Petterson und war schockiert: »So viel politische Dummheit habe ich nie zuvor und auch nicht wieder danach bei hochrangigen offiziellen Persönlichkeiten erlebt, wie bei Frau Bergmann-Pohl« (S. 55). Nicht nur, daß sie der Fraktion der schwedischen Sozialdemokraten gleich in den ersten Gesprächsminuten mitteilte, daß sie nur eine halbe Stunde Zeit hätte, denn sie müsse noch einkaufen gehen. Nein, es kam noch schlimmer. Beim offiziellen Begrüßungsessen des schwedischen Parlamentsprä-
sidenten kannte sie nur ein Thema: die DDR-Vergangenheit, die sie in den schrecklichsten Farben ausmalte. Doch ihr Gastgeber wollte darüber nicht urteilen. Der bedrängte Petterson wiederholte mehrfach: »Wir hatten gute Beziehungen zur DDR, auch zur Volkskammer.« Doch der höfliche Fingerzeig, das Thema doch endlich mal zu wechseln, wurde von Frau Bergmann-Pohl ignoriert. So schaltete sich noch ein Abgeordneter ein: »Liebe Frau Präsidentin, es muß zwei Staaten DDR gegeben haben. Einen, den ich schon mehrmals besuchte, und einen, den Sie eben beschrieben haben.« Wen wundert es, daß nach diesem Eklat das schwedische Protokoll die Termine der neuen DDR-Vertreter mit dem König und dem Ministerpräsidenten Schwedens aus »Zeitgründen« absagte.
Weniger dramatisch erlebte Dr. Joachim Mitdank, Botschafter in Großbritannien und Irland, den Besuch des Interims-Außenministers, Pfarrer Markus Meckel, in Dublin. Meckel wollte die schnelle Eingliederung der DDR in die EG erreichen. Die Iren hatten zu dieser Zeit die Präsidentschaft inne, und Meckel hoffte auf deren Einfluß. Mitdank schreibt süffisant: »Er hielt vor dem irischen Außenminister eine Ode an die Freiheit und eine an die Revolution ... Collins fragt: >Warum wollen Sie denn alles so schnell machen?< Meckel
antwortete: >Wir stehen unter dem Druck des Volkes.< >Junger Freund<, erwiderte Collins, entschuldigen Sie, wenn ich Sie so anrede, aber ich bin etwas älter als Sie. Hören Sie auf meinen Rat und unterscheiden Sie zwischen den verschiedensten Arten von Druck. Es gibt den Druck, den man selbst erzeugt - den man folglich fördern muß, und den Druck, der von anderen gegen uns ausgeübt wird. Dem muß man begegnen<.« Er gab Meckel sodann noch einige Lebensweisheiten und Erfahrungen aus jahrzehntelanger diplomatischer Arbeit mit. (S. 96 ff).
Auch der Botschafter der DDR in den USA kann von solchen Blamagen berichten. Im Sommer 1990 besuchte die neugekürte Ministerin für Jugend und Sport der Regierung de Maiziere, Cordula Schuberth, die USA. Wie es sich gehörte, holte Botschafter Gerhard Herder Frau Schuberth vom Flugplatz ab. Im Auto fragte sie diesen: »Was macht die DDR-Botschaft überhaupt in den USA? Das muß doch peinlich sein hier, wo die USA doch gar nichts von der DDR wollen.« Frau Schuberth ließ sich übrigens während ihres Aufenthaltes - ebenso wie ihr kurz zuvor ebenfalls in die USA gedüster Regierungschef - nicht von der DDR-Botschaft betreuen, sondern von den Vertretern Bonns. Nicht nur im* diplomatischen Metier sich auskennende Menschen werden die politsche Instinktlosigkeit bemerken (S. 287).
Solche und ähnliche Demütigungen lagen nicht im Interesse des Gastlandes und auch nicht an den Botschaftern der BRD Zu diesen unterhielten die DDR-Vertreter durchaus kollegiale Kontakte. Siegfried Bock, Botschafter in Belgrad, berichtet,
daß sich zu seinem westdeutschen Kollegen, Hansjörg Eiff, insbesondere nach dem historischen 9 November 1989, ein engeres Verhältnis entwickelte. Außenminister Meckel hatte die Weisung erteilt, die weitere Tätigkeit der DDR-Botschaft mit deren bundesdeutschen Pendant abzustimmen (S. 15). Alle restriktiven Bestimmungen, die bisher für beide Seiten galten, wurden aufgehoben. In der letzten Phase der DDR-Botschaft haben Bock und Eiff schließlich »Analysen ausgetauscht«, die zuvor als Staatsgeheimnisse gegolten hätten. Diese betrafen auch die innere Entwicklung Jugoslawiens.
Auf Eitelkeiten - bei anderen Publikationen des Genres nicht selten - trifft man in diesem Buch kaum. Nostalgischen Reminiszenzen zu frönen, kann man keinem der Autoren unterschieben. Wünschenswert wäre eine Erweiterung des Bandes. Schließlich gab es nicht nur Botschafter der DDR im Ausland, sondern auch Botschafts-, Handels- und Wirtschaftsräte, Militärattaches und Außenhändler, von denen eine andere, nicht minder spannende Sicht »von außen« auf das letzte DDR-Jahr zu erwarten wäre. Und warum sollte man nicht auch Residenten des MfS, die es ebenso in den Gastländern gab wie solche von BND, CIA, KGB, Mossad etc., zu Wort kommen lassen? Empfehlenswert wäre bei einer Neuauflage auch ein Personenregister.
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