Hitler sells

DIE KOLLEKTIVE ERINNERUNG

Bereits Mitte der 70er Jahre sprach die US-amerikanische Publizistin Susan Sontag vom »faszinierenden Faschismus«. Von einer regelrechten Besessenheit für Hitler & Co. ist in Deutschland vor allem seit Mitte der 80er Jahre zu sprechen, als Guido Knopp die ZDF-Redaktion »Zeitgeschichte« übernahm und jedes Jahr mindestens eine, oft drei, vier Dokumentationen über den Hitler, seine Helfer, Krieger, Frauen, Kinder, über den Zweiten Weltkrieg sowie Flucht und Vertreibung produzierte. Und es damit schaffte, dass Hitler in deutschen Familien heute präsenter ist als zur NS-Zeit, quasi mit am Abendbrottisch sitzt. Hitlertainment zur besten Sendezeit.

Doch nicht um Dokudramen geht es Yael Ben Moshe. Er interessierte sich für die Darstellung Hitlers in Spielfilmen aus US-amerikanischer sowie west- und ostdeutscher Produktion seit 1945. Wie hat diese die kollektive Erinnerung an den Weltterroristen Nr. 1 geprägt? Sein Befund: In frühen deutschen Filmen über die NS-Zeit kommt Hitler nur marginal oder indirekt vor, in US-Streifen agiert er offen und oft zentral. Im Gegensatz zu ersteren wird er in letzteren vom Gros der deutschen Bevölkerung isoliert respektive als Bedrohung auch des deutschen Volkes reflektiert. Das erstaunt umso mehr, als gemeinhin der US-Historiker Daniel J. Goldhagen als derjenige gilt, der erst mit seinem Buch »Hitlers willige Vollstrecker« den Deutschen ihre aktive Komplizenschaft vorhielt.

Es verwundert nicht, von Yael Ben Moshe zu erfahren, dass die meisten Filme über Hitler, den Holocaust und den Krieg von US-Studios gedreht wurden. Beispielhaft werden von ihm hier analysiert: »The Desert Fox« (1951), »Is Paris Burning?« (1966), »The Bunker« (1981), »The Plot to Kill Hitler« (1990) und »Valkyrie« (2008). Die von unter die Lupe genommenen deutschen Filme sind: »Der letzte Akt« (1955), »Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse« (1955), »Moloch« (1999), »Der Untergang« (2004) sowie »Der 20. Juli« und »Es geschah am 20. Juli« (beide 1955), »Hitler, ein Film aus Deutschland« und »Lili Marleen« (1981). Bei aller berechtigten Kritik, die am Thälmann-Streifen zu üben ist, diesem eine »antisemitische Konnotation« zu unterstellen, scheint mir ungerechtfertigt.

Die Formung der kollektiven Erinnerung untersucht der Autor in drei Epochen: von 1945 bis zum Mauerbau, von 1961 bis zur Wende in Osteuropa und schließlich die letzten 20 Jahre. In der unmittelbaren Nachkriegszeit dominierte der entzauberte Mythos und die enthüllte Ungeheuerlichkeit der Verbrechen. In den 70ern begann eine Art »Normalisierung«, man versuchte dem »Phänomen Hitler« rational beizukommen, der »Dämon« wurde nun auch als »Mensch« begutachtet. Des Autors Fazit für die jüngste Zeit ist bedenklich, ja beängstigend und leider wahr: »Walküre« mit Tom Cruise und »Der Untergang« mit Bruno Ganz setzten darauf, »eine sinnentleerte Figur dramatisch und emotional zu inszenieren«, wobei man sich nicht viel von Hitlerbildern der NS-Zeit unterscheide. Der Terror werde marginalisiert oder »leise ausgedrückt«, beklagt Yael Ben Moshe. Das Geschäft geht vor: »Hitler sells.«

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