Kröpeliner Heimatkunde

Feiert ein SPD-Verband Hitlers Besuch im Ort?

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die SPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern fordert vom Ortsverband in Kröpelin, einen »heimattümelnden« Bericht über einen Besuch Hitlers und Mussolinis 1937 in der kleinen Stadt aus dem Internet zu nehmen. Der Autor fühlt sich missverstanden.

Es ist eine alte Frage, was »Geschichte« eigentlich heiße und »zu welchem Ende« man sie studiere. Friedrich Schiller hat sie 1789 gestellt, als er in Jena seine Antrittsvorlesung hielt. Seither sind unzählige Texte erschienen, die mit dieser Wendung beginnen. So unterschiedlich die gegebenen Antworten auch sind - in einem Punkt sind sie doch einig: Man befasst sich mit der Geschichte, auf dass sie Sinn ergebe und den Blick auf die Gegenwart schärfe. Geschichte entsteht im ordnenden Blick des Historikers. Ohne diesen ist sie nichts als eine bedeutungslose Ansammlung von Ereignissen.

»Jubelnd und grüßend«

Anlass zu solchen Referaten gibt in diesen Tagen der SPD-Ortsverband Kröpelin im Landkreis Rostock, der seit Ende September an ein »Ereignis« erinnert: Den gemeinsamen Besuch von Adolf Hitler und Benito Mussolini vor 75 Jahren in der Stadt. Auf der SPD-Seite »Schusterstadt.de« klingt das so: »Nach der Ankunft der beiden Sonderzüge (…) geht es im offenen Mercedes-Benz 770 durch die Kröpeliner Bahnhofstraße. Hitler sitzt hinten links, Mussolini rechts. Auf der Böschung stehen jubelnd und grüßend zahlreiche Menschen (…). Man ist in die Wismarsche Straße eingebogen. (…) Man sieht etliche Wehrmachtssoldaten, aber ansonsten alle Teile der hiesigen Bevölkerung, (…).« Kurz darauf band sich Mussolini im Antikominternpakt, was »tragisch« endete. Im »Spiel der Mächte«, resümiert der Text, »war die Visite in Kröpelin nur eine Randnotiz, doch für unsere Kleinstadt eines der bedeutendsten Ereignisse ihrer Geschichte.«

Womit man bei der Frage nach »Ereignis«, »Geschichte« und »Bedeutung« wäre: Was das »Ereignis« dieses Besuches nämlich für Kröpelin »bedeutete« und es insofern zu »Geschichte« macht, erwähnt der Autor nicht. Bei Figuren wie Hitler und Mussolini ist jedoch das Weglassen der Bedeutung selbst schon eine, wie der Blick auf die einschlägigen Nazi-Seiten zeigt, die sich vor Lob über die »wohltuend objektive Berichterstattung« überschlagen.

Das wiederum hat die Politik auf den Plan gerufen: Zuerst hat sich Linkspartei-Innenexperte Peter Ritter zu Wort gemeldet: Man könne nicht »einerseits beklagen, dass Nazis bei Dorffesten mitfeiern« oder in Original-Uniformen bei Umzügen paradierten, und »andererseits geschichtliche Ereignisse aus dieser Zeit unkommentiert, ja begeistert darstellen«. SPD-Fraktionschef Norbert Nieszery klingt ähnlich: »Die historisierende Heimattümelei zu einem ausgesprochen abstoßenden historischen Anlass hat auf einer SPD-Internetseite nichts zu suchen.« Der Verfasser, Thomas Wendt, müsse den Text »unverzüglich« entfernen.

Bis Mittwoch war dies nicht geschehen. Stattdessen hat Wendt einen »Nachtrag« verfasst: Nicht um den Besuch sei es gegangen, sondern einen entdeckten Film, der für 26 Sekunden jene Bilder aus Kröpelin zeigte. Diese wohl ältesten Filmaufnahmen der Stadt seien der »Neuigkeitswert«.

Ein zweiter Nachtrag

In einem zweiten Nachtrag, in dem er sich glaubwürdig von jeglichem Nazitum distanziert, schreibt Wendt zudem, erst kürzlich habe ihm ein alter Herr erzählt, alle Hausbesitzer an der Route seien vor dem Besuch von der Gestapo für alles, was aus ihrem Haus heraus passiere, verantwortlich gemacht worden. Das zu beschreiben, wie der Besuch vorbereitet wurde, in den Schulen, den Betrieben, wie man Regimegegner »einstimmte«, ob sich nach der Visite der lokale Nazismus festigte, was also das »Ereignis« tatsächlich »bedeutete« - dies wäre lokale »Geschichte« gewesen.

Wenn sich die Aufregung legt, findet Wendt vielleicht Ruhe für die Beschäftigung, die den Historiker ausmacht: lesen. Ein Tipp wäre das Buch »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts« von Norbert Frei.

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