Vom Gründen einer Genossenschaft

Buchtipp aus Hamburg zum UN-Jahr 2012

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Baugenossenschaften kommen wieder in Mode, besonders in Großstädten wie Hamburg. In Zeiten steigender Wohnungsnot, ausgelöst durch skrupellose Bodenspekulanten und verfehlte Stadtentwicklungspolitik, gewinnt das Prinzip des genossenschaftlichen Wohnens an Attraktivität. Die Vereinten Nationen haben 2012 zum »Internationalen Jahr der Genossenschaften« ausgerufen. Aus diesem Anlass ist in Hamburg ein Buch erschienen, das die wichtigsten Aspekte zum Thema »Wohnungsbaugenossenschaften« zusammengefasst und verständlich darstellt.

Die Zahlen beeindrucken. Beispiel Hamburg: In der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Hansestadt haben die 30 Wohnungsbaugenossenschaften 200 000 Mitglieder in 130 000 Wohnungen. Die Genossenschaften investierten 2011 rund 390 Millionen Euro - für rund 150 Millionen Euro sind neue Wohnungen entstanden, 240 Millionen Euro flossen in die Modernisierung und Instandhaltung des Bestandes.

Aus der Not geboren

Die 150 Jahre alte Organisationsform basiert auf dem Selbsthilfegedanken und wurde aus der Not heraus geboren. Denn das Problem der Bodenspekulation ist nicht neu - es zieht sich durch die ganze Geschichte der Stadtentwicklung. Bereits im 19. Jahrhundert tummelten sich skrupellose Vermieter auf dem Wohnungsmarkt, die aus Profitgier jeden Quadratmeter eines Grundstücks bebauten und in Kauf nahmen, dass ihre Mieter zusammengepfercht in dunklen, feuchten, keimbelasteten Wohnungen hausten.

Von der Politik wurden die Menschen weitgehend allein gelassen. »Die Stadtväter schauten weg, waren sozialpolitisch desinteressiert und verwiesen auf den Markt, der schon alles regeln würde«, schreibt der Hamburger Historiker Holmer Stahncke in seinem geschichtlichen Überblick für das Buch »Wohnen bei Genossenschaften«. Die Gründungswilligen ergriffen selbst die Initiative und fanden Unterstützung bei reichen Mäzenen aus dem Bürgertum.

Die ersten Baugenossenschaften standen auf wackeligen Beinen. Erst mit der Verabschiedung eines Genossenschaftsgesetzes im Jahr 1889 wurde der Zugang zu Krediten erleichtert und die Haftung der Gründer eingeschränkt. Dadurch bot sich für die »kleinen Leute« eine realistische Chance, dem Wohnelend im industrialisierten Deutschland zu entkommen. Das Prinzip einer Baugenossenschaft ist seit damals weitestgehend gleich geblieben: Die Mitglieder sind Eigentümer und Nutzer zugleich. Durch die Anteile und die Mieteinnahmen wird Kapital erwirtschaftet, Gewinne werden in Neubauten und in die Modernisierung des Bestandes investiert. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Anzahl der Genossenschaftsanteile - »One man, one vote!«, lautet die Devise.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich die Wohnungsbaugenossenschaften neben dem Wohnen zur Miete und im Eigentum zur dritten Säule des Wohnungsmarkts. Heute existieren in Deutschland rund 2000 Wohnungsbaugenossenschaften mit drei Millionen Mitgliedern und über zwei Millionen Wohnungen. Somit wird etwa jede zehnte Wohnung von einer Genossenschaft vermietet. Die Nettokaltmiete beträgt im Durchschnitt 4,73 Euro pro Quadratmeter.

Das klingt günstig, doch in den begehrten Wohnlagen der Großstädte ziehen die Preise auch bei Genossenschaften an. In einigen Fällen unterscheiden sich die Mieten kaum noch von denen des freien Wohnungsmarkts. »Wir stellen in letzter Zeit fest, dass mehr Mieter von Genossenschaften zu uns kommen«, berichtet Siegmund Chychla, Stellvertretender Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg, in seinem Gastbeitrag. Das Konfliktpotenzial werde größer.

Gefährdetes Prinzip

Chychla beobachtet mit Sorge, dass viele Genossenschaften im Zuge des Immobilienbooms zunehmend teure Wohnungen bauen und dabei das Prinzip, möglichst vielen Menschen preisgünstigen Wohnraum zu bieten, aus den Augen verlören. Der Mietrechtsexperte rät zu mehr Transparenz, wenn es um Neubauprojekte, Modernisierung und Mieterhöhungen geht.

Das Buch beantwortet alle wichtigen Fragen zur Gründung einer Genossenschaft. Weitere Themen sind das Wohnen im Alter und der Einfluss der Genossenschaften auf Architektur und Stadtentwicklung. Zahlreiche Abbildungen, Adressen und eine umfangreiche Literaturliste runden den positiven Gesamteindruck des Buchs ab.

Bärbel Wegner, Anke Pieper, Holmer Stahncke: Wohnen bei Genossenschaften, Ellert & Richter, Hamburg 2012, 200 Seiten, 19,95 Euro

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