Wie lange noch Deckelung?

Breivik auf der Bühne

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Was vergangene Woche in Weimar geschah drängt uns die Frage auf, wie lange das wohl noch gut gehen wird in diesem Land, mit der Deckelung intellektueller Debatten. Da setzte nämlich das örtliche Nationaltheater am Donnerstag eine für Freitag geplante Lesung ab: »Breiviks Erklärung«. Mit diesem Text begründete der norwegische Massenmörder vor Gericht seine Taten und zeigte sein Weltbild. Von diesem Breivik will sich das Nationaltheater distanzieren.

Dass die Lesung des zu Mord aufrufenden Textes überhaupt Teil eines Projekts des Schweizer Regisseurs Milo Rau war, welches über alle drei Wochenendtage verteilt am Nationaltheater aufgeführt wurde, will Geschäftsführer Thomas Schmidt auf Grund eines internen »Kommunikationslochs« erst kurzfristig erfahren haben, wie er der »Berliner Zeitung« sagte. Jedenfalls entzog Schmidt der Lesung den Raum. Sie fand dann in einem benachbarten Kino statt.

Hätte sich der Interimsintendant mit dem Stück befasst, hätte er festgestellt, dass es gar keines ist. Keine Inszenierung, und keine künstlerisch verbrämte Annäherung an den massenmörderischen Kulturkämpfer Breivik habe er im Sinn, sagte der verständnislose Regisseur am Freitag im »Deutschlandradio Kultur«. Ihm gehe es um politische Analyse. Breiviks Rede, die ohnehin »tausendfach« im Internet zu finden und somit alles andere als geheim sei, gehöre diskutiert - schließlich stehe sie für die Ansichten eines großen Teils der Menschen in Deutschland und der Schweiz. Milo Raus Konzept: Eine Schauspielerin mit türkischen Wurzeln liest den Text vor, wobei die szenischen Mittel sehr gering sind: Lesepausen, Blicke, Kaugummi kauen, Leinwandübertragung.

Abgesagt hat Thomas Schmidt also eine politische Reflexion, inklusive Podiums- und Publikumsdiskussion. Das findet seine Parallele in dem unlängst berichteten (siehe »nd« vom 21.9.) Rauswurf einer Podiumsveranstaltung der Stiftung »Cinema for Peace« aus einem Berliner Kino. Dort sollten religionskritische Filme diskutiert und auszugsweise präsentiert werden. Darunter war auch der damals für Proteste sorgende Anti-Mohammed-Film aus dem Internet - von dem sich das Kino distanzieren wollte. Welch Größenwahn, in beiden Fällen! Da sehen sich Millionen Menschen etwas im Internet an - aber in meinen vier Wänden setze ich ein Zeichen, indem ich niemanden selbiges ansehen lasse.

Deutschland ist eines der letzten Länder in Europa, in dem der grassierende Kulturalismus und Autoritarismus noch nicht einer entsprechenden nicht-faschistischen Partei zum Erfolg verholfen hat. Doch die ökonomische Krise wird auch hier ankommen. Wessen politisches Vokabular bei Worthülsen wie »Demokratie« und »Toleranz« endet, wird den radikalen Nationalisten (die laut wissenschaftlicher Studien ein großes Wählerpotenzial haben) dann wenig entgegensetzen können. Ewig werden wir die intellektuellen Debatten nicht umschiffen können.

Am kommenden Samstag wird Raus Breivik-Projekt im Berliner »Theaterdiscounter« aufgeführt.

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