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Der Problem-Peer

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Der Problem-Peer

Auf jeder Pressekonferenz heißt große Fresse Transparenz. Bildungsferne Schichten, Abiturienten etwa, wissen aber gar nicht, was Transparenz bedeutet. Oder Subsidiarität. Oder Übertagemultikomponentensonderabfalldeponie. Der atlantische Hering heißt im Fischgroßhandel clupea harengus. Ein anspruchsvoller Name, auf den auch der Rollmops Anspruch erhebt. Doch seit wir bloß noch kommunizieren und nicht mehr miteinander reden, ist jede ambivalente Redundanz stringent obsolet. Immerhin können die alten Römer uns nicht vorwerfen, wir beherrschten kein Latein.

Die zweite deutsche Diktatur war ein Dorado der Transparenz. Ostalgisch gestimmte Ostler denken gern zurück an die poetischen Spruchweisheiten der Transparente: »Es liegt in deine Hände - verhüte Brände!« Oder, Appell an der Friedhofsmauer: »Alles heraus zum 1. Mai!« Unser bürgernahes Deutschland dagegen ist ein Dorado der Intransparenz. So sieht es der »Kanzlerkandidat« der SPD-»Opposition«. Peer Steinbrück schafft Klarheit: »Transparenz gibt es nur in Diktaturen!« Und er hat ja so recht! Denn man muss nicht alles wissen, manches kann man sich auch denken.

Der Peer ist ein begnadeter Redner. Im Reichstag aber ergreift er das Wort nur selten; dafür umso öfter bei Veranstaltern, die ihn mit saftigen Aufwandsentschädigungen überhäufen. Bei Ansprachen für Banker und sonstige Global Player kommt nebenbei so einiges zusammen, vom Schweigegeld ganz zu schweigen. Aber das alles hat seine Richtigkeit; denn Politik ist nun mal die Leitung öffentlicher Angelegenheiten zum privaten Vorteil, und der Trend geht ja auch zum Zweitjob.

Darum kann Steinbrück nur den Kopf schütteln über die künstliche Aufregung seiner Feinde von der schwarz-gelben Koalition, die ihn als Raff-Terroristen verunglimpfen und ihm sein sechs- bis siebenstelliges Gesamtnebenverdiensthonorar missgönnen. Eine solche Reaktion findet er »dämlich«, schließlich lege er seine Nebeneinkünfte penibel nach den geltenden Regeln offen, die die Sozialdemokraten im Einklang mit dem Merkel-Wahlverein demokratisch beschlossen hätten.

Er meint damit ein Drei-Stufen-System von gedimmter Durchschaubarkeit, das Zusatzeinnahmen mit der Aura der Legalität aufhübscht. Die Opposition möchte Nebeneinkünfte nun sogar auf Heller und Pfennig abrechnen, in ungültiger Währung also. Die Koalition verabscheut eine solche überschwurbelte Transparenz. Wir wollen nicht den gläsernen Bürger, tönt es aus der CDU, »und wir brauchen auch nicht den gläsernen Abgeordneten.«

Mit der gleichen Beharrlichkeit weigert sich die deutsche Regierung seit neun Jahren, die UN-Konvention gegen Korruption zu ratifizieren. Stimmenkauf ist in Deutschland strafbar, bleibt aber verlässlich unentdeckt, Geld- und Sachgeschenke für Mandatsträger sind ausdrücklich erwünscht. Nur so, schwärmt Siegfried Kauder (CDU), Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses, könne die Freiheit des Abgeordnetenmandats gewahrt bleiben. Merke: Totale Transparenz ist bloß was für Hartz-IV-Hartzis, die in stasimäßigen Fragebögen jeden Zweitkugelschreiber angeben müssen.

Transparency International und LobbyControl sammeln im Internet fleißig Unterschriften gegen die diskreten Nebengeschäfte unserer Volksvertreter. Dieses Hobby jedoch ist zum Scheitern verurteilt; denn die Kanzlerin findet die Kritik der Biertische überhaupt nicht ulkig. Ihr aus Erfahrung gewachsener Standpunkt: Die Leute sollen uns Politiker die Politik machen lassen, weil wir davon viel mehr verstehen.

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