Dessauer Ankläger unter Belagerung

Gedenkinitiative für Oury Jalloh drängt mit Aktionswoche auf Ermittlungen wegen Mordes

  • Hendrik Lasch, Dessau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gedenkinitiative für den in Dessauer Polizeihaft gestorbenen Oury Jalloh drängt auf eine Mordanklage. Anlass bieten Merkwürdigkeiten aus dem laufenden Prozess in Magdeburg.

Ein Zelt, ein gutes Dutzend Transparente und viele Demonstranten – in der stillen Nebenstraße, in der die Staatsanwaltschaft in Dessau-Roßlau ihren Sitz hat, ist es für eine Woche vorbei mit der Ruhe. Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« hat mit einer bis kommenden Montag geplanten »Belagerung« der Ermittlungsbehörde begonnen. Nachdem das Verwaltungsgericht Halle am Sonntag die zunächst vom Ordnungsamt verfügten zeitlichen Beschränkungen gekippt hatte, richteten sich die Demonstranten auch für nächtliches Ausharren auf der Wiese vor dem Sitz der Staatsanwaltschaft ein. Diese solle, heißt es in einem Aufruf, im Verfahren um den Tod des Flüchtlings Oury Jalloh »endlich die Mordanklage« erheben.

Von Mord ist in dem Prozess, der seit nunmehr 22 Monaten am Landgericht Magdeburg läuft und heute fortgesetzt wird, nicht die Rede. Angeklagt ist der Polizeibeamte Andreas S., der am 7. Januar 2005 als Dienstgruppenleiter im Polizeirevier Dessau tätig war – an dem Tag, als der morgens in Gewahrsam genommene und in seiner Zelle auf die Matratze gefesselte Mann aus Sierra Leone bei einem Feuer starb. S. hatte zusammen mit einem Kollegen bereits ab März 2007 in Dessau vor Gericht gestanden. Nach 59 Verhandlungstagen wurden jedoch beide Ende 2008 freigesprochen. Im Januar 2010 verwarf der Bundesgerichtshof aber das Urteil gegen S., der deshalb in Magdeburg erneut vor Gericht steht.

Verhandelt wurde in den Prozessen, zu deren Eigenheiten viele medizinische und Brandgutachten ebenso gehörten wie vergessliche oder gar mauernde Polizeizeugen, freilich stets nur die Frage, ob der damals verantwortliche Beamte schnell genug auf den Feueralarm reagierte und ob flotteres Eingreifen das Leben Jallohs hätte retten können. Dagegen sei nie ernsthaft gefragt worden, »wie das Feuer entstehen konnte«, sagte gestern eine Sprecherin der Gedenkinitiative. Die Staatsanwaltschaft vertrat stets die These, dass Jalloh die Matratze selbst mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt habe. Die Annahme lag allen Expertisen und Untersuchungen zugrunde.

Im Magdeburger Prozess freilich ist sie erschüttert worden. Das bestätigt auch Gabriele Heinecke, die Anwältin der Nebenklage. Sie verweist darauf, dass sich an dem in einer Tüte mit Brandschutt befindlichen Feuerzeug bei genaueren Untersuchungen weder Spuren der Matratze noch der Kleidung oder des Körpers von Jalloh fanden: »An dem Feuerzeug war überhaupt nichts, was darauf hinweist, dass es in der Zelle gewesen sein könnte.« Keiner der Ermittler am Brandtag habe es zudem in der Hand gehabt. Die Gedenkinitiative, erklärt Heinecke, habe daher »Recht, wenn sie erklärt, dass sich ein Mordverdacht aufdrängt«.

Dass die Merkwürdigkeiten im laufenden Verfahren noch erhellt werden, ist freilich nicht abzusehen: Bereits heute soll über letzte Beweisanträge entschieden werden. Die Initiative will daher noch einmal den Druck erhöhen. Neben der einwöchigen »Belagerung« in Dessau plant sie für heute eine Demonstration vom Landgericht zum Innenministerium in Magdeburg. Eine umfangreiche Stellungnahme samt Forderungskatalog soll im Laufe der Woche unter anderem dem Staatsanwalt, dem Innenministerium, den mit dem Fall bisher befassten Gerichten in Magdeburg und Dessau sowie dem Rathauschef von Dessau übergeben werden. Die Initiative sammelt zudem Geld für ein weiteres Brandgutachten eines neuen, des nunmehr dritten Sachverständigen.

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