BLOGwoche: Norm des alten weißen Mannes

  • Antje Schrupp
  • Lesedauer: 2 Min.

Darüber wollte ich schon länger etwas bloggen, aber irgendwie brauche ich für so was immer einen konkreten Anlass, und der kam heute morgen über meinen Feed᠆reader. Heise (Internetportal, d.Red.) berichtet darüber, dass einem verurteilten Straftäter nicht der Zugang zum Internet gesperrt werden darf:

»Anlass für das Urteil war der Fall eines 55-jährigen Voyeurs. Er war verurteilt worden, weil er mit einer in einer Shampoo-Flasche mit einem Loch versteckten Handykamera ein vierzehnjähriges Mädchen beim Duschen fotografiert hatte. Dummerweise ging der Blitz in der Shampoo-Kamera los, wodurch das Mädchen aufmerksam wurde, das den Mann daraufhin anzeigte.«

Das interessante Wort ist natürlich das »Dummerweise«, denn es macht sehr schön die »Positionierung« des Autors dieses Artikels deutlich: Er identifiziert sich in der ganzen Geschichte mit dem fotografierenden Voyeur, und nicht etwa mit dem Mädchen oder dessen Eltern und Freundinnen.

Diese selbstverständliche Einnahme der Perspektive eines erwachsenen, weißen, gesunden Mannes beim Erzählen gesellschaftlicher Geschichten ist ein Überbleibsel unserer patriarchalen Kultur, die diese Sorte Mensch zur Norm erklärt hat, an der alle anderen gemessen werden müssen. Normalerweise ist diese Positionierung unsichtbar, denn heutzutage - wo das Patriarchat zu Ende ist - wird diese Norm des »alten weißen Mannes« nicht mehr offensiv vertreten.

Wenn zum Beispiel in dem erwähnten Heise-Artikel der zuständige Redakteur oder die Redakteurin ihre Arbeit sorgfältig gemacht hätte, wäre das Wort »Dummerweise« aus dem Artikel herausgestrichen worden. Nach den üblichen journalistischen Regeln darf man ja keine wertenden Erläuterungen verwenden. Dann hätte sich dieser Text vollkommen »neutral« gelesen. Aber es wäre natürlich immer noch derselbe Autor mit seiner immer noch genauso positionierten Perspektive gewesen. Nur dass das nicht mehr »beweisbar« gewesen wäre.

Die Autorin ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin und lebt in Frankfurt am Main; zum Weiterlesen: www.antjeschrupp.com

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