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Spieglein, Spieglein an der Wand ...
Bahman Nirumand enthüllt: Menschenrechte als Alibi
Die schwarz-gelbe Bundesregierung beschreibt die Grundlinie ihrer Außenpolitik als interessenorientiert und wertegebunden. Bei den Werten ganz oben an stehen die Menschenrechte. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit deutscher Außenpolitik wäre also daran zu messen, inwieweit sie sich um deren Verteidigung bemüht. Und genau darum geht es Bahman Nirumand. Der in Deutschland lebende iranische Publizist hält westlichen Gesellschaften den Spiegel vor.
Angesichts des »Arabischen Frühlings«, der bereits längst in einen kalten Herbst übergegangen ist, fordert Nirumand eine neue Nahostpolitik, wobei er einräumt: »Ich will auch keineswegs leugnen, dass der Islam einer grundlegenden Reform bedarf, um aus der historischen Sackgasse herauszukommen. Aber Reformen können niemals durch eine gewaltsame Intervention von außen erzwungen oder durch Nachahmung westlicher Kultur und Zivilisation erreicht werden.« Diesem Gedanken bin ich häufig in der arabischen Welt begegnet. So stellte mir der Generalsekretär der PLO Abed Rabbo die bedenkenswerte Frage: »Wie lange habt ihr im Westen gebraucht, um euch die Gedanken der französischen Revolution, der Aufklärung anzueignen? Dieser Prozess dauert bis heute an.«
Nirumand scheut keine klaren Worte und Urteile. Die Europäische Union hat 60 Millionen Euro investiert, damit Libyen den Europäern Flüchtlinge vom Leibe hält. Nirumand erinnert daran, dass die europäischen Staaten, die einst engste Freundschaft mit Gaddafi unterhielten, zu den ersten gehörten, die Luftangriffe auf Libyen, befehligten, angeblich nur gegen Gaddafi-Anhänger. 30 000 Libyer sind ums Leben gekommen. Und landesweit sollen sich mehr als 6000 in Gefängnissen befinden, ohne Aussicht auf eine offizielle Anklage und ohne Aussicht auf einen Prozess. Wie war das noch? Deutsche Außenpolitik ist wertegebunden? Was tut sie gegen diese Menschenrechtsverletzungen?
Nirumand ermuntert seine Leserinnen und Leser, einen Blick auf eine »nicht all zu fern zurückliegende Vergangenheit« zu werfen, auf das, was »das christliche Abendland und das islamische Morgenland zu verantworten haben«. Schauen wir also in den Spiegel, den er uns hin hält. Da sind die mörderischen Terroranschläge gegen das World Trade Center in New York mit 3000 toten Zivilisten und die verstörten Gesichter einer geschockten Nation, auf denen nur eine Frage zu lesen war: Wie konnte das geschehen? Da sind aber auch Hunderttausende tote Afghanen und Iraker, Frauen, Männer und Kinder, unschuldige Opfer des »Krieges gegen den Terror«.
Nirumand verweist warnend darauf, dass es im Gefolge der Globalisierung für Rüstungskonzerne und Banken, für Waffen- und Drogenhändler keine Grenzen mehr gibt, keine Regionen auf der Welt, in denen sie nicht operieren. Und er merkt an, dass jede Aufteilung der Welt in Zivilisierte und Barbaren, in Christen, Juden und Muslime anachronistisch ist.
Wenn Nirumand die Leser auffordert, über die vom Westen ausgehende Gewalt nachzudenken, so will er beileibe nicht den gewaltsamen Islam verharmlosen, im Gegenteil. Fakt ist aber auch: »Die beiden Weltkriege sind nicht von Muslimen ausgegangen.« Es war die sogenannte zivilisierte Welt, die sechs Millionen Juden vergast und verbrannt, Hunderttausende Vietnamesen mit Napalm und ebenso viele Japaner mit Atombomben getötet und verstümmelt hat. Nirumand schreibt: »Es war die zivilisierte Welt, die in Chile geputscht und Zehntausende in den Tod geschickt, in Algerien Massenmorde durchgeführt, im Iran die demokratische Regierung von Mossadegh gestürzt und eine Militärdiktatur ermöglicht und in Südafrika den Einheimischen das System der Apartheid aufgezwungen hat. Es war die zivilisierte, demokratische Welt, die in nahezu sämtlichen Staaten der so genannten Dritten Welt Diktaturen errichtet und ihre Machthaber mit Waffen versorgt hat.«
Es wäre wünschenswert, wenn auch die in Deutschland Regierungsverantwortung tragenden Politiker einen Blick in den Spiegel wagen würden, den Bahman Nirumand dem Westen vorhält.
Bahman Nirumand: Menschenrechte als Alibi: Die Nahostpolitik des Westens muss glaubwürdig werden. Edition Körber Stiftung, Hamburg 2012. 91 S., br., 10 €.
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