Leben mit Gewalt und Zerstörung

Besuch im vom Bürgerkrieg gezeichneten Damaskus

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 6 Min.
In vielen Teilen der Hauptstadt Syriens leben die Menschen in der Angst, zwischen die Fronten der »Freien Syrischen Armee« und der Luftangriffe der Regierungstruppen zu geraten.

Damaskus, Mitte November 2012. Früh legt sich der Abend über die syrische Hauptstadt. Die Menschen eilen zu einem der vielen Busbahnhöfe oder versuchen ein Taxi zu bekommen. Vom Bab Sharki, dem Osttor der Damaszener Altstadt, fließt der Verkehr in die südlichen und westlichen Viertel - sofern die Zugangsstraßen wegen der Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und der syrischen Armee nicht gesperrt sind. Östlich der Khalil-Straße liegt das Viertel Al-Ihda'a Shariyeh, ein Labyrinth von Gassen und Wegen, dicht bebaut mit Werkstätten, Hütten und Häusern. Irgendwo hier tritt der Fluss Barada wieder an die Oberfläche. Der Barada durchfließt Damaskus von Westen nach Osten in sieben Nebenströmen und wässert die Ghota, das Land, das einst Obst- und Gemüsekorb und ein prächtiger Park der stolzen Oasenstadt war. Heute ist es weitgehend zugebaut, riesige Satellitenstädte beherbergen Millionen Menschen.

Ein nahe der Khalil-Straße liegendes Café ist beliebter Treffpunkt für Arbeiter und Kunden aus dem einst geschäftigen Industrieviertel. Geheimnisvoll leuchtet ein in den Farben des Regenbogens angestrahlter Turm in den Nachthimmel, um Gäste anzulocken. Die aber bleiben aus, die meisten Werkstätten und Fabriken liegen verlassen. Zu unsicher ist es in Al-Ihda'a Shariyeh geworden, seit bewaffnete Aufständische im Schutz des Straßengewirrs vorrücken, um Waffen zu deponieren, Fahrzeuge mit Sprengstoff auszurüsten oder Angriffe zu starten.

Bei einer Taxifahrt steuert der Fahrer den Wagen ruhig durch den Stau, ein kalter Luftzug weht durch die Fenster. Die Rückscheibe fehlt, eine notdürftig befestigte Plastikplane soll die Kunden vor dem Fahrtwind schützen. Die Frontscheibe auf der Beifahrerseite ist zersprungen, die Risse verzerren die Sicht auf die Straße. Er sei in der Ghota in eine Schießerei geraten, als er Kunden mit dem Taxi nach Hause bringen wollte, erklärt der Fahrer. Im Rif, dem Umland von Damaskus, sei es gefährlich geworden, viele schlechte Menschen seien unterwegs. »Sie stoppen Dich, um Dir das Geld oder das Auto zu stehlen«, sagt der Mann. »Wenn Du nicht tust, was die sagen, bist Du schnell tot.«

Friedensaktivisten werden mit dem Tod bedroht

Im Osten und Süden von Damaskus herrscht heute Gewalt und Tod. Bewaffnete Aufständische haben unter den unzufriedenen Bewohnern der Satellitenstädte in der Ghota guten Nährboden gefunden. Nach anfänglichen Demonstrationen und Protesten zogen die Sicherheitskräfte ein und begegneten den Unzufriedenen mit gewaltsamer Unterdrückung, viele Menschen starben, verschwanden oder wurden verhaftet. Rufe nach gewaltlosem Widerstand und dem Aufbau einer politischen Opposition wurden als »Verrat« beschimpft. Wer sich wie Mohamed Sheikhan in einer der politischen Oppositionsgruppen engagiert, wird häufig von staatlichen Sicherheitskräften wie auch von den bewaffneten Gruppen bedroht. Bei einem Treffen mit Freunden wirbt der junge Mann enthusiastisch für die Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen«, der er sich Anfang 2012 angeschlossen hat. Vernetzung, Bildung, Hilfe für die Inlandsflüchtlinge leisteten sie, wichtig sei die absolute Gewaltfreiheit. »Von Gewalt haben wir hier in Syrien schon viel zu viel«, ist Mohamed Sheikhan überzeugt. Dann zieht er sein Handy heraus und zeigt Kurznachrichten, die Unbekannte ihm schickten. »Sieht aus, als seist Du ein Dickkopf. Kein Problem, wir werden ihn bald abschneiden. F.S.A.« Das Kürzel steht für »Freie Syrische Armee«.

»Es sei zu viel Blut geflossen«, halten Anhänger der »Freien Syrischen Armee« dem Prinzip der Gewaltlosigkeit entgegen. Doch die Mehrheit der syrischen Bevölkerung heißt die Bewaffneten nicht willkommen. Im Damaszener Stadtteil Rukn'Eddin, der mehrheitlich von Kurden bewohnt wird, haben Ältestenräte mehrmals dafür gesorgt, dass Bewaffnete unter den Einwohnern nicht Fuß fassen konnten, so hielten sie auch Armee und Sicherheitskräfte auf Distanz. Doch immer wieder versuchen Werber der »Freien Armee« junge, arbeitslose Männer zu überreden, Geld und Waffen anzunehmen, um in den »Heiligen Krieg« zu ziehen. »Wir sind arme Leute. Was wollen die von uns?«, empört sich Hannan, ein Hotelangestellter und Straßenverkäufer, der seine Frau, einen Sohn und drei Töchter ernähren muss. Über Demokratie und Freiheit würden vor allem Politiker aus Europa, den USA und den Golfstaaten reden. Und Oppositionelle, die im Westen, in den Fünf-Sterne-Hotels am Golf oder in der Türkei eine sichere Basis gefunden hätten. »Seit diese ›Freie Armee‹ hier aufgetaucht ist, geht es Syrien immer schlechter«, sagt Hannan. »Wir haben keine Arbeit mehr, kein Brot und kein Leben!«

Am nächsten Morgen auf dem Weg in die Vorstädte ist eines der ärmeren Viertel, Hay Suhar, für den Durchgangsverkehr gesperrt. Ein ausgebranntes Taxi steht quer auf einer Kreuzung. Am Vorabend war es in die Luft geflogen, fern gezündet von unbekannten Attentätern. Nahe der Ringstraße liegt ein Rohbau in Trümmern. So sehe es nach einem Luftangriff aus, sagt der Fahrer. Ein Kampfjet der syrischen Luftwaffe, die seit Mitte Oktober im Osten und Süden der Hauptstadt Angriffe fliegt, dürfte das Gebäude zerstört haben. Das direkt daneben liegende Wohnhaus ist völlig intakt. Die Zufahrt zur Ringstraße ist durch die Trümmer des Gebäudes versperrt. Drei Frauen stapfen mit stoischer Ruhe durch den Steinhaufen.

Auch die Zufahrt nach Tadamoun ist gesperrt. Soldaten kontrollieren die Fahrzeuge. »Was haben Sie denn in den Kartons?«, will einer wissen. »Handwerkssachen«, antwortet die Begleiterin. »Na, so lange Sie keine Altertümer davon tragen«, sagt der Soldat lachend und fügt hinzu: »Hier können sie leider nicht durchfahren«. Schüsse pfeifen über die Dächer von Tadamoun. »Besser wir kehren um«, meint der Fahrer und wechselt mit quietschenden Reifen die Fahrspur.

Einwohner, die aus Tadamoun geflohen sind, berichten, dass die bewaffneten Aufständischen sie aus ihren Wohnungen drängen. Möbel werfen sie auf die Straßen und richten in Fenstern und auf Balkonen Schießstände ein. Auch Aischa musste mit Eltern und Schwestern ihre Wohnung in Tadamoun verlassen. Zuflucht hat sie in der Werkstatt von ANAT gefunden, wo sie als Stickerin gearbeitet hat. Das 1988 von der Deutschen Heike Weber gegründete Projekt gab landesweit mehr als 1000 Frauen Arbeit im traditionellen Stickereihandwerk.

Trümmer zerbombter Häuser auf den Straßen

Der Abzug internationaler Botschaften und Organisationen aus Damaskus im Frühjahr 2011 und die Wirtschaftssanktionen der EU und USA brachten den Verkauf zum Erliegen. Wegen Kämpfen in den Provinzen Idlib und Aleppo mussten bereits Werkstätten geschlossen werden, auch in Damaskus wird nun nicht mehr gearbeitet. Allein die Drusinnen Maha und Suheila in Khil Khila (Provinz Sweida) erhalten ab und zu einen Auftrag von Heike Weber. Bisher ist Sweida von Gewalt und Kämpfen verschont geblieben, doch wurden schon andere Volks- und Religionsgruppen wie die Tscherkessen auf dem Golan, die Christen in Homs und Aleppo, die Kurden im Norden Syriens in einen Konflikt gezogen, den sie ablehnen. Nach der französischen Mandatszeit schworen die Drusen »nie gegen die syrische Armee und nie gegen das syrische Volk« in den Krieg zu ziehen. »Möge Gott dem Volk Syriens helfen, diesen Konflikt zu überwinden«, sagt Suheila.

In Damaskus hat inzwischen der Herbst Einzug gehalten. Es ist kühl und regnerisch. Der Berg des Scheichs (Hermon), der sich auf dem Golan erhebt und an klaren Tagen von Damaskus gut zu sehen ist, hat über Nacht eine weiße Kopfbedeckung erhalten. »Wenigstens scheinen wir guten Regen in diesem Jahr zu bekommen«, sagt Nabil, ein Agraringenieur, der auf dem Golan zu Hause ist. »Syrien braucht den Regen, um sich ernähren zu können. Und vielleicht gibt es in diesem Winter so viel Regen und Schnee, dass das Land von all dem Leid der letzten zwei Jahre rein gewaschen wird.«

nd-Karte: W. Wegener

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