Integration ist kein Selbstläufer

IG Metall fordert gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung von Migranten

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Vorfeld der Bundestagswahl will sich die IG Metall für die politische Gleichberechtigung von Migranten und ein modernes Staatsbürgerrecht einsetzen. Das erklärte die Gewerkschaft bei der Bundesmigrationskonferenz ihrer Organisation am Donnerstag in Kassel.

Die Konferenz und eine Kundgebung in der Kasseler Innenstadt bildeten am Donnerstag den Auftakt einer bundesweiten Veranstaltungsreihe. Mit einem Drei-Säulen-Modell fordert die Gewerkschaft neben dem aktiven und passiven kommunalen Wahlrecht für alle die Einführung der Mehr- staatigkeit und bewusste Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft sowie die Aufhebung des »Optionszwangs«. Dieser ist in den kommenden Jahren für rund 40 000 junge Menschen aus Migrantenfamilien ein brennendes Problem. Sie sind Doppelstaater und müssten sich nach geltendem Recht für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Damit könnten sie die deutsche verlieren.

»Die Gleichberechtigung, die in den Betrieben seit vier Jahrzehnten vorbildlich gelebt wird, muss auch in unseren gesellschaftlichen Alltag Einzug halten«, forderte IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner und bezog sich damit auf das Betriebsverfassungsgesetz von 1972, das allen Betriebsangehörigen unabhängig von ihrer Nationalität aktives und passives Wahlrecht bei Betriebsratswahlen gibt. Gleichzeitig hätten hierzulande aber nur EU-Bürger ein kommunales Wahlrecht. Millionen Menschen aus der Türkei und anderswo bleibe dieses Menschenrecht verwehrt. In Skandinavien, den Benelux-Staaten, Großbritannien, Spanien, Irland oder Estland bestehe ein Kommunalwahlrecht für Drittstaater. Auch die Einbürgerung und Anerkennung der Mehrstaatigkeit gestalte sich in vielen Ländern einfacher. Auf dem Weg zur vollen Gleichberechtigung von Migranten liege Deutschland im europaweiten Vergleich »im hinteren Drittel«, beklagte Benner.

Die Neuauflage einer Massenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie Hessens CDU und ihr damaliger Chef Roland Koch 1999 gestartet hatten, hält Benner nach der »Sensibilisierung durch die NSU-Affäre« zwar für unwahrscheinlich: »So offensiv wie Koch damals würde sich niemand trauen.« Allerdings sei das Engagement für politische Gleichberechtigung auch »kein Selbstläufer«. Es komme darauf an, in der Mitgliedschaft »noch ein Stück Überzeugungsarbeit zu leisten«, so Benner auf nd-Anfrage.

Kassel war nicht nur wegen seiner zentralen Lage innerhalb Deutschlands ein passender Austragungsort für die Migrationskonferenz der Gewerkschaft: Denn hier stützt sich der örtliche IG Metall-Migrantenausschuss auf Aktive aus Großbetrieben und erwerbslose Mitglieder. Sein Vorsitzender Bilal Sahin ist Betriebsrat im nahen VW-Werk Baunatal und freut sich darüber, dass sechs von 13 betrieblichen Jugendvertretern aus Migrantenfamilien stammen. Nach der Aufdeckung der NSU-Morde in Kassel habe die Bevölkerung viel Anteilnahme gezeigt und in großer Zahl den antifaschistischen Protest unterstützt, so Sahin gegenüber »nd«.

Als größte Einzelgewerkschaft Europas zählt die IG Metall rund 300 000 Mitglieder ohne deutschen Pass. 700 von ihnen besetzen als Betriebsratsvorsitzende oder -stellvertreter betriebliche »Spitzenmandate«. Mit dem Heranwachsen neuer Generationen in den klassischen »Gastarbeiterfamilien« hat sich auch die gewerkschaftliche Migrationsarbeit verändert. Geblieben ist allerdings das Engagement gegen Lohndumping für Migranten und für den Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. So hätten die IG-Metall-Gliederungen und ihre Betriebsräte jüngst in einem Betrieb die Absicht der Geschäftsleitung gestoppt, spanische Ingenieure für die gleiche Arbeit zwei Einkommensgruppen schlechter als ihre deutschen Berufskollegen einzustufen, berichtet Benner.

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