Schuldspruch im zweiten Anlauf

Polizist im Fall Jalloh verurteilt

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Zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen wurde der im Fall des Todes von Oury Jalloh verantwortliche Polizist verurteilt. Die Nebenklage hatte bis zuletzt von Mord gesprochen.
Der Dessauer Polizeibeamte Andreas S. ist der fahrlässigen Tötung des Flüchtlings Oury Jalloh schuldig. Zu diesem Schluss kam die Schwurgerichtskammer des Magdeburger Landgerichts nach 66 Verhandlungstagen. Sie verurteilte den 52-Jährigen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen, insgesamt 10 800 Euro. Damit blieb sie um 4500 Euro über der Forderung der Anklage. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Es war bereits das zweite Urteil gegen S. in dem Fall. Vor fast genau vier Jahren hatte ihn das Landgericht Dessau ebenso wie einen damals noch mitangeklagten Kollegen freigesprochen. Bei der Verkündung des Urteils war es zu lautstarken Protesten im Gerichtssaal gekommen. Die jetzige Verhandlung fand statt, nachdem der Bundesgerichtshof am 7. Januar 2010, dem fünften Todestag Jallohs, der Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklage stattgegeben hatte. Gestern blieb es weitgehend ruhig. Erst als die Richterin Claudia Methling die Urteilsbegründung verlesen hatte, wurde »Oury Jalloh - das war Mord« skandiert.

Für diese Behauptung sieht das Gericht keine Hinweise. Das Gericht gehe davon aus, dass der in Gewahrsamszelle 5 an Händen und Füßen gefesselte Jalloh das Feuer selbst verursachte, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Dazu soll er seine Matratze in Brand gesteckt haben. Es sei »auszuschließen«, dass für das Feuer ein Defekt »oder eine andere Person« verantwortlich seien.

Auch die Frage, ob der an jenem 7. Januar 2005 als Dienstgruppenleiter im Polizeirevier tätige Angeklagte bei zügigem Eingreifen den Feuertod hätte verhindern können, wurde vom Gericht verneint. Es sei »nicht auszuschließen«, dass Jalloh binnen kürzester Zeit an einem Hitzeschock durch Einatmen starb. Man müsse deshalb zugunsten des Angeklagten annehmen, dass dieser Jalloh nicht mehr hätte retten können. Vorgeworfen wird dem Polizisten indes, dass der damals 21-jährige Mann aus Sierra Leone an dem Tag überhaupt in Gewahrsam genommen und über Stunden gefesselt belassen wurde. Jalloh hatte einen Alkoholpegel von 2,89 Promille und stand unter Einfluss von Kokain, zudem sei er impulsiv aufgetreten.

Die Personalsituation habe es nicht erlaubt, ihn ständig unter Beobachtung zu halten. Es wäre aber für den Dienstgruppenleiter S. »Pflicht gewesen, für eine zusätzliche optische Überwachung zu sorgen«, so Methling. Die Richterin verwies auf einen Todesfall in der gleichen Zelle, der sich drei Jahre früher ereignet hatte. Auch dabei war ein betrunkener Häftling gestorben.

S. hätte daraus Lehren ziehen müssen. Angesichts fehlenden Personals an dem Tag, der im Land ein Brückentag war, sowie des Zustands von Jalloh sei der Gewahrsam unverantwortbar gewesen.

Detailliert ging die Richterin auf Anmerkungen der Nebenklage ein. Nach deren Überzeugung war Jalloh bei Brandausbruch bewusstlos und muss »von dritter Hand« zu Tode gebracht worden sein, wie Anwältin Gabriele Heinecke am Dienstag vorgetragen hatte. Die Richterin verwies auf zahlreiche Expertisen, welche dies aus Sicht des Gerichts nicht stützen. So sei die Annahme, der Körper könne mit Alkohol übergossen und angezündet worden sein, »abstrakt theoretisch«. Ein Motiv hätten nur zwei Polizisten haben können, die Jalloh am Morgen festgesetzt hatten, nachdem er Frauen belästigt haben sollte. Dafür spreche nichts, so Methling.

Sie stellte freilich auch klar, dass mangels Straftat der Gewahrsam »objektiv nicht rechtmäßig« gewesen sei. Methling schloss mit einer Mahnung an »alle Berufsgruppen«, die Menschen in Haft oder Gewahrsam nehmen: »Je mehr einem Menschen die Freiheit genommen wird«, sagte sie, »um so höher ist Ihre Verantwortung.«
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