Litauens neue Regierung stolperte ins Amt

Sozialdemokraten nach vierjähriger Opposition wieder an der Spitze / Präsidentin Grybauskaite zögerte

  • Thomas Mell, Tallinn
  • Lesedauer: 3 Min.
Litauens Parlament gab am Donnerstag grünes Licht für die neue Mitte-Links-Regierung unter dem Sozialdemokraten Algirdas Butkevicius (Foto). Die möchte den Euro einführen und verspricht eine Verbesserung der Beziehungen zu Polen und Russland.

Gleich am Tag nach den Parlamentswahlen im Oktober war aus dem Präsidentenpalast ein Donnerschlag gekracht. Litauens Sozialdemokraten hatten sich nach vier Jahren Opposition wieder in die Spitzenposition gebracht und noch in der Wahlnacht Koalitionsgespräche aufgenommen. Doch Präsidentin Dalia Grybauskaitė funkte dazwischen: Einen der Partner - die Arbeitspartei des russischstämmigen Geschäftsmanns Viktor Uspaskich - werde sie nicht in der neuen Koalition dulden.

Gründe für den präsidialen Missmut gab es: Nach Vorwürfen des Stimmkaufs wurde das Ergebnis in einem Wahlkreis annulliert. Zudem sind die Arbeitspartei und hohe Funktionäre, darunter Parteigründer und Zahlmeister Uspaskich, wegen Finanzbetrugs angeklagt. Auch Sozialdemokraten stimmten am Donnerstag für die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Uspaskichs und zweier weiterer Abgeordneter. Der Chef der Arbeitspartei tat daraufhin zwar seinen Unmut kund, versprach aber, die Koalition deswegen nicht platzen zu lassen.

Grybauskaitės Versuch, die Sozialdemokraten zur großen Koalition mit den Konservativen zu drängen, schlug jedenfalls fehl. Die Fronten zwischen den Schwergewichten der litauischen Politik waren zu verhärtet. Die rechtsbürgerliche Regierung unter Andrius Kubilius hatte zwar eine lahmende Wirtschaft auf Wachstum getrimmt (2012 laut Zentralbank 3,4 Prozent), doch die Wähler nahmen Kubilius den harten Sparkurs übel und zogen die Sozialdemokraten vor.

Die Präsidentin indes zögerte die Regierungsbildung so lange wie möglich hinaus. Ministeranwärter wurden in persönlichen Gesprächen im Präsidentenpalast sogar »Sprachtests« unterzogen, geprüft wurde ihre Tauglichkeit fürs internationale Parkett. Schließlich wird Litauen im Juli 2013 den EU-Vorsitz übernehmen. Drei Kandidaten der Arbeitspartei mussten auf Druck der Staatschefin ausgetauscht werden, bevor alle Posten besetzt waren.

Den Ton geben nun die Sozialdemokraten an, die 38 Abgeordnete im Seimas und die wichtigsten Minister stellen. Neben der Arbeitspartei (29 Sitze) und der Partei Ordnung und Gerechtigkeit (11 Sitze) des früheren Präsidenten Rolandas Paksas gehört erstmals die Partei der polnischen Minderheit (8 Sitze) zur Regierungskoalition, die mit 86 Sitzen im 141-köpfigen Parlament über eine bequeme Mehrheit verfügt. 39 Konservative und Liberale, durch die Wahlen entthront, stimmten gegen das Regierungsprogramm.

Ministerpräsident Algirdas Butkevičius bekräftigte in seiner Antrittsrede, dass der Euro ganz oben auf seiner Vorrangliste steht. Spätestens 2015 will Litauen der Eurozone beitreten - trotz deren gegenwärtiger Krise. Das bedeutet freilich, dass sich die Viererkoalition keine großen Sprünge erlauben kann, denn das Haushaltsdefizit muss in engen Grenzen gehalten werden. Der gesetzliche Mindestlohn aber soll als Referenz an die Wähler von 850 auf 1000 Litas (290 Euro) steigen.

Unklar bleibt die Zukunft des geplanten Atomkraftwerks in Visaginas. Bei der unverbindlichen Volksbefragung am 14. Oktober stimmten über 60 Prozent der Wähler gegen das Projekt, das die Abhängigkeit von russischen Stromlieferungen lindern soll. Butkevičius hat den Plan zwar auf Eis gelegt, will aber ein neues AKW nicht ausschließen. Estland und Lettland, die sich am Bau beteiligen wollten, reagieren auf den Baustopp nach jahrelanger Planung verschnupft.

Butkevičius’ Schachzug die Partei der polnischen Minderheit in die Regierung aufzunehmen, kann als Wink in Richtung Warschau gedeutet werden. Das Verhältnis der beiden EU-Partner war letzthin stark unterkühlt. Auch in Bezug auf Russland möchte man auf »Neustart« drücken und plädiert für eine Zusammenarbeit, die »auf europäischen Werten« basiert. Foto: AFP/Petras Malukas

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