Bedürfnis Demokratie

»Frankfurter Rundschau«: Hausgemachte Krise

  • Rolf-Henning Hintze
  • Lesedauer: 5 Min.

Einfache Ideen können manchmal grandios und sehr folgenreich sein. Eine solche Idee hatte Ende der 60er Jahre der frühere Nachrichtenchef der »Frankfurter Rundschau« (FR), Horst Wolf. Als damals die Studentenbewegung landesweit für Diskussionen sorgte, befand er, dass für eine akkurate Beschreibung der Vorgänge an den unruhigen Hochschulen die Berichte der Deutschen Presseagentur nicht ausreichend seien. Er setzte die Idee durch, ein Netz studentischer Mitarbeiter an den Hochschulen aufzubauen. Mit frappierenden Ergebnissen: die Qualität der Berichterstattung stieg merklich, und es schnellte nicht nur die Zahl der Studentenabonnements in die Höhe, sondern das Ansehen der FR insgesamt nahm enorm zu. Sie wurde eine überregionale Zeitung von Rang. Viele der studentischen Abonnenten blieben der Zeitung später treu, auch wenn sie beruflich aufgestiegen waren. In der sambischen Hauptstadt Lusaka traf ich Jahre später einmal den dort tätigen Leiter eines größeren deutschen Unternehmens, dem die tägliche FR sogar ein teures Luftpostabonnement wert war.

Die Qualität des Blattes hatte mehrere Gründe, die hochwertige Berichterstattung über die Studentenbewegung kam lediglich noch hinzu. Im August 1945 war die »Frankfurter Rundschau« als erste Zeitung der US-Zone erschienen. Seit 1946 gehörte Karl Gerold, ein aus der Arbeiterjugend stammender Antifaschist, zu den Herausgebern, er war zugleich Chefredakteur. Er sorgte später u.a. dafür, dass sich die FR, lange bevor das populär wurde, zum Beispiel für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze einsetzte, und er ermutigte die Redaktion, ehemaligen Nazis nachzuspüren, die es wieder in hohe Funktionen geschafft hatten. Die FR schrieb früher als andere DDR ohne Anführungszeichen, und stärker als die meisten ergriff sie Partei gegen den Vietnam-Krieg. Wer gut über die Gewerkschaften informiert sein wollte, kam ebenfalls nicht an der Rundschau vorbei.

Überraschenderweise waren es die Feuilletonredakteure um Wolfram Schütte, nicht die Politik-Redakteure, die Anfang der 70er Jahre die Initiative für ein Redaktionsstatut ergriffen. Sie wollten sich weigern können, schwache Gedichte ihres Chefs ins Blatt zu rücken, ohne dafür die Entlassung zu riskieren. Die Redaktion übernahm die Forderung sofort, »Mehr Demokratie« war in jenen Jahren ein gängiges Bedürfnis.

Ein von der Redaktion ausgearbeitetes Statut beschränkte sich nicht auf eine Mitbestimmung bei der Berufung neuer Chefredakteure, es beinhaltete auch, dass ein gewählter Redakteursausschuss im Falle umstrittener Entscheidungen von Ressortleitern oder der Chefredaktion angerufen werden konnte. Dieser hatte dann zu beurteilen, ob ein Beitrag der Linie des Blattes entsprach oder nicht. Herausgeber Gerold behagte diese Einengung seiner Macht gar nicht, er blockierte das Statut.

Die Lage änderte sich, als Gerold starb und Werner Holzer Chefredakteur wurde. Er, der neue Zeichen setzten wollte, sagte der Redaktion: Wir tun einfach so, als wäre das Statut vom Verlag schon beschlossen - ich halte mich dran. Er tat es tatsächlich. Ich habe eine Sitzung des Redakteursausschusses miterlebt, in dem er als Chef vorgeladen wurde, um zu begründen, warum er die Veröffentlichung einer TV-Kritik untersagte (die sehr hart einen ARD-Beitrag kritisierte, der die Apartheid-Politik verharmlost hatte). Holzer wurde gerügt, seine Entscheidung ohne vorheriges Gespräch mit dem Redakteur getroffen zu haben und sich nicht um einen Einigung bemüht zu haben. Eine Kleinigkeit? Durchaus nicht, ein Statut, das ein Hinterfragen von Entscheidungen der redaktionell Verantwortlichen ermöglicht, stärkt redaktionelles Selbstbewusstsein nachhaltig. Später lehnten die FR-Redakteure ein vom Verlag angebotenes deutlich schwächeres Statut ab, lieber keines als eine Augenwischerei, entschieden sie mehrheitlich.

Vor gut zehn Jahren traten wegen wirtschaftlicher Rückgänge erste Veränderungen des Blattes zutage, die in den Augen vieler Leser Qualitätsverlust bedeuteten. Dies besonders, nachdem der 2006 entlassene Chefredakteur Storz durch Uwe Vorkötter (»Berliner Zeitung«) ersetzt wurde und die Zeitung auf das kleinere Tabloid-Format umstellte. Herbert Fritz, über 30 Jahre Redakteur, urteilt heute: »Die Rundschau ist kaputtgespart worden.« Er meint die enorme Verringerung der Belegschaft, die Verkleinerung des Korrespondentennetzes, die oft unkritische bloße Übernahme von Agenturberichten.

Die Entlassung von Chefredakteur Wolfgang Storz geht auf einen Vorgang zurück, der Seltenheitswert hat. Betrieben wurde er von der SPD, deren Medienholding DDVG damals die Mehrheit der Anteile an der »Rundschau« besaß. Storz erhielt einen Brief der damaligen SPD-Schatzmeisterin Ingrid Wettig-Danielmeier auf SPD-Briefpapier, in dem sie ihm nahelegte, einen kritischen Beitrag zur Linkspartei ins Blatt zu rücken. Storz lehnte dies mit der Begründung ab, dass ein solcher Vorschlag auf SPD-Briefpapier die redaktionelle Unabhängigkeit der Redaktion berühre. Die Schatzmeisterin antwortete, »dies könne auch auf einem Missverständnis über redaktionelle Unabhängigkeit beruhen«. Nachträglich meint Storz, damit sei seine Entlassung programmiert gewesen.

Unter Vorkötter, geholt vom neuen Gesellschafter Alfred Neven-Dumont, erschienen dann auch Positionen in der Zeitung, die früher undenkbar gewesen wären. So pries Lokalressortchef Matthias Arning für die fälligen Reparaturen mehrerer Mainbrücken völlig unkritisch das Modell von »Public Private Partnership« (PPP) an. Die ablehnende Haltung des Frankfurter DGB wurde in dem Bericht nicht mal erwähnt. Viele Abonnenten erkannten wegen solcher Beiträge ihre Zeitung kaum noch wieder, kündigten. Arning wurde später übrigens Pressesprecher bei OB Petra Roth (CDU).

Großes Befremden löste im Mai 2011 auch ein unkritischer Beitrag aus, den die FR vierspaltig mit Foto groß herausbrachte. Ein freier Mitarbeiter zitierte darin aus einer »Studie« zweier Wissenschaftler über eine angebliche Dominanz antisemitischer Positionen in der Linkspartei. Eine ausreichend besetzte und gewissenhafte Redaktion hätte festgestellt, dass es sich nicht um eine Studie handelte und Belege für die These fehlten. Dass die Wissenschaftler dem Lager der »Antideutschen« zuzurechnen sind, verschwieg der Beitrag.

Der schmerzliche Niedergang der »Rundschau« zeigt, dass sich Qualitätszeitungen nur herstellen lassen, wenn Redakteure Bedingungen haben, unter denen sie sorgfältig arbeiten können. Für die FR muss es bitter sein, dass viele Leser zur »Frankfurter Allgemeinen«, dem Erzgegner, abgewandert sind, die zwar politisch ganz anders gepolt, aber unbestreitbar anspruchsvoll gemacht ist.

Der Autor war 1969 bis 1976 politischer Redakteur der FR, später bei NDR und Deutscher Welle. Seit 2006 freier Journalist in München.

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