Psychiater vor Gericht

EuGH stärkt Patientenrechte nach Arztfehlern

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.
Wieder einmal hat der Europäische Gerichtshof (EuGH)gegen deutsche Gerichte Gerichte entschieden. Diesmal zu Gunsten der Patientenrechte.
»Eine Frau kämpft um Gerechtigkeit«, heißt es auf der Homepage von Tanja Afflerbach. Das hört sich pathetisch an, ist es aber nicht. Die ehemalige Kunst- und Pädagogikstudentin aus Siegen bereitet einen Schadenersatzprozess wegen ärztlichen Kunstfehlern vor, und zwar gegen Psychiater. »Da sind die Chancen schlecht. Wer in der psychiatrischen Klinik war, gilt schnell als geisteskrank und unglaubwürdig«, weiß Matthias Seibt von den »Psychiatrieerfahrenen Nordrhein-Westfalen«. Die rund zehn Jahre dauernde Klinik-Odyssee begann für Afflerbach nach einem durch einen Autounfall hervorgerufenen Schleudertrauma. Die Ärzte diagnostizierten eine Psychose und verabreichten Neuroleptika. Seitdem leidet die 36-Jährige an extremer Lichtempfindlichkeit und Nervenschmerzen am ganzen Körper. Ein Gutachter bescheinigte ihr, nie psychisch krank gewesen zu sein und dass ihre Leiden von den Nebenwirkungen der Medikamente stammen, die ihr gegen die nicht existierende Krankheit verabreicht wurden. Deshalb fordert Afflerbach jetzt Schmerzensgeld und Schadenersatz von den verantwortlichen Psychiatern. Schließlich musste sie wegen der falschen Behandlung ihr Studium abrechen und lebt heute von Sozialhilfe. Die Erfolgschancen für ihre Klage sind gestiegen, seit der EuGH für Menschenrechte unlängst einer Psychiatriepatientin einen Schadenersatz von 75 000 Euro zugesprochen hat (Az.: 61603/00 vom 16.06.2005). Diese Frau, Vera Stein, war als Jugendliche vom Vater in die Psychiatrie eingewiesen worden - wegen einer vermeintlichen Psychose. Auch volljährig durfte sie die Psychiatrie nicht verlassen, wurde an Heizung oder Bett gefesselt und bekam zwangsweise Medikamente verabreicht, wie sie in zwei Büchern berichtete. Seit 1994 wurde ihr mehrfach gutachterlich bestätigt, nie an einer Psychose oder an einer Schizophrenie gelitten zu haben. Es folgte ein zehnjähriger Kampf vor Gerichten. In mehreren Instanzen wurden ihre Forderungen abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof nahmen ihren Fall erst gar nicht an. Erst nach Ausschöpfung aller juristischen Mittel konnte Stein vor dem EuGH klagen, der ihr die Entschädigung zugesprochen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Psychiatriekritische Organisationen begrüßen die Entscheidung als Stärkung der Patientenrechte. Der Gericht hat betont, dass Stein immer gegen die Behandlung Widerstand geleistet hat.

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