»Ein Fußballer mit bescheidenem Talent«

Der neue Geschäftsführer der Deutschen Fußfall-Liga, Andreas Rettig, will das Image des Verbands verbessern

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.
Der neue DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig will das Vertrauen der Fans zurückgewinnen, die Missstände im deutschen Schulsport angehen und nebenbei das Image des »Vermarktungsverbands« verbessern.

Das Jahr ist noch jung, aber alt genug dafür, dass sich Andreas Rettig ein längst vergessenes Tor des Monats »mindestens achtmal« angeschaut hat. Klaus-Dieter Nuyken vom Wuppertaler SV setzte vor 28 Jahren in der Oberliga Nordrhein einst jenen Seitfallzieher an, den der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga gestern eigens am Anfang und Ende seiner offiziellen Vorstellung einspielen ließ. Schließlich hatte er, die Nr. 7 im dreckverschmierten WSV-Trikot, per Außenristflanke die Vorarbeit geleistet. Mit dem Videoschnipsel wollte der 49-Jährige demonstrieren, dass ins verglaste Gebäude im Frankfurter Bankenviertel »ein Fußballer mit bescheidenem Talent« (Rettig) Einzug hält.

Der Verantwortungsbereich des Wunschkandidaten von Ligapräsident Reinhard Rauball umfasst Spielbetrieb und Lizenzierung. Was unspektakulär klingt, preist der Neue als »hochinteressante Aufgabe.« Weil Rettig hehre Ziele einbringen möchte. Unter seiner Zuständigkeit soll nicht nur die Bundesliga im internationalen Wettbewerb gut aussehen, sondern auch der Blick auf die Nachrücker fallen. Und da findet er, »dass unseren Jugendspielern zu viel in den Rucksack geladen wird.« Die Fälle Robert Enke und Babak Rafati seien nur die Spitze eines Eisbergs, »dahinter existiert eine Grauzone, die unser Unterstützung bedarf.« Denn zu groß sei oft der Leistungsdruck in Wirtschaft oder Sport.

Der gebürtige Leverkusener kennt beide Segmente: Er ist in der Bayer AG sozialisiert und als Wirtschaftsassistent ausgebildet worden, bestand dann die Fußballlehrerlizenz, ehe ihn Reiner Calmund unter seine Fittiche nahm. Rettig nennt ihn »einen Toplehrmeister, nur die Essgewohnheiten habe ich mir nicht angewöhnt«. Rettig will Missstände im Schulsport beheben. »es ist erschreckend, was da passiert.« Er will hierbei »keine Konkurrenzveranstaltung« zum DFB. Sein Vorschlag für ein gemeinsames Pilotprojekt: »Wir haben Tausende arbeitslose Fußballtrainer - können wir die nicht mal in die Schulen schicken?«

Obwohl noch gar nicht offiziell im Amt (»Ich wollte eigentlich ein halbes Jahr Auszeit«) nahm er seinen Dienst vorzeitig auf, indem er in die ausgeuferte Debatte um die Sicherheit in den Stadien einstieg. Er besuchte im Herbst in Berlin einen Fangipfel; er bringt nächsten Dienstag in Frankfurt alle wichtigen Fanvertreter und -initiativen an einen Tisch. Sein Credo: Standpunkte austauschen, Verständnis wecken, Kompromisse finden - Auge in Auge. Er möchte daraus »kein Medienspektakel« machen, »es wird nicht das Gespräch sein, wo sich alles in Luft auslöst.«

Das frühere Ligavorstandsmitglied könnte innerhalb der DFL eine wichtige Ergänzung des im Wirtschaftsbusiness verwurzelten Vorsitzenden der Geschäftsführung, Christian Seifert, werden, der wegen seiner Geschäftstüchtigkeit geschätzt wird. Dessen meinungsstarker Mitstreiter soll sich als bodenständiger Arbeiter positionieren, der seine Abneigung gegen Krawatten (»da habe ich eine Allergie«) beibehalten darf. Er möchte das Image der Institution DFL dahingehend verbessern, »dass wir nicht mehr nur als Vermarktungsverband, sondern ein bisschen mehr über den Sport wahrgenommen werden.« Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten wäre er ohnehin fehl am Platze.

Das in den Nachfolger von Holger Hieronymus gesetzte Vertrauen führt auf seine solide Tätigkeit als Fußballmanager zurück. Der SC Freiburg ist ihm für seine Weitsicht in der Talentförderung im Grunde bis heute dankbar, der 1. FC Köln, wo Rettig von 2002 bis 2005 die Geschäfte führte, und der FC Augsburg, wo er bis zu seinem Ausstieg diesen Sommer Bemerkenswertes vollbrachte, ständen sicher heute besser da, wäre er noch im Amt. Seinen Wechsel auf die nächste Funktionärsebene hat sich der Rheinländer zusammen mit seiner Frau Cordula reiflich überlegt. Eine Wohnung im Frankfurter Westend ist angemietet. Zur neuen Dienststätte kann er zu Fuß gehen. Ziemlich günstig, wenn einer so viele Pläne hat.

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