Augsteiniade

Jürgen Amendt über eine Schlacht der Eitelkeiten, der Empfindlichkeiten und Grundsätzlichkeiten

  • Lesedauer: 3 Min.
Ist Jakob Augstein ein Antisemit? Die Frage ist manchen ebenso unwichtig wie die Antwort darauf. Jene Diskutanten sind in der Debatte, die sich daran entzündete, dass das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) in Los Angeles den 45-jährigen Journalisten auf einer Rangliste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt auf den neunten Platz gesetzt hatte, längst in andere Sphären entschwunden. Sie führen eine – wenn auch milde – Schlacht der Eitelkeiten, der Empfindlichkeiten und Grundsätzlichkeiten.

Ist Jakob Augstein ein Antisemit? Die Frage ist manchen ebenso unwichtig wie die Antwort darauf. Jene Diskutanten sind in der Debatte, die sich daran entzündete, dass das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) in Los Angeles den 45-jährigen Journalisten auf einer Rangliste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt auf den neunten Platz gesetzt hatte, längst in andere Sphären entschwunden. Sie führen eine – wenn auch milde – Schlacht der Eitelkeiten, der Empfindlichkeiten und Grundsätzlichkeiten.

Grundsätzlich, so sinngemäß Abraham Cooper vom Wiesenthal-Center eingeschnappt, lasse man sich nicht vorschreiben, wen man einen Antisemiten nenne und wen nicht. Augsteins Aussagen zu Israel besäßen »keine Richtigkeit«. Eine interessante Definition des Begriffs Antisemitismus. Würde man ihr folgen, hieße das im Umkehrschluss, dass eine zutreffende Aussage zu Israel vom Vorwurf des Antisemitismus freisprechen würde. Das Gemeinte wird so vom Gesagten leichtfertig getrennt.

Der Publizist Henryk M. Broder wiederum, der vom SWC als Kronzeuge für das Urteil über Augstein genannt wird, nutzt den Fall Augstein, um ein neues Ziel ins Visier zu nehmen: die seiner Ansicht nach kleingeistigen Kollegen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, denen der Mumm fehle, zu ihm, dem Aufrechten, auch öffentlich zu stehen. Broder kündigte am Donnerstag seine wöchentliche Kolumne bei Radio Eins (Rundfunk Berlin-Brandenburg – RBB). NachBroders Darstellung wollte der RBB die Kolumne am Freitag ausfallen lassen und stattdessen einen Antisemitismus᠆experten zu Wort kommen lassen. Das sei ihm gegenüber illoyal, polterte Broder daraufhin und zerriss das Tischtuch zwischen sich und dem RBB. Vielleicht hat es Henryk M. Broder auch gewurmt, dass es Radio Eins nach einem Experten verlangte, wo Broder doch vom Wiesenthal-Center als solcher ausdrücklich erwähnt und geadelt wurde. Im eigenen Land ist der Prophet halt nichts wert.

Es gibt wahrlich wenige, die Broder derzeit zur Seite springen. Der TV-Moderator Michel Friedmann gehört nicht dazu. Er halte zwar die Israel-Kritik von Jakob Augstein »für überzogen, falsch und unverhältnismäßig polemisch«, sagte der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland dem Berliner »Tagesspiegel«. Die »sichtbaren Antisemiten, die braunen Mörder« würden ihm allerdings mehr Sorgen bereiten. Auch der heutige Vizepräsident des Zentralrats, Salomon Korn, distanzierte sich von Broder. Das, was Augstein schreibe, sei nicht antisemitisch, erklärte er gegenüber DeutschlandRadio Kultur.

Abraham Cooper aber hält weiter zu Broder (der übrigens den Vorwurf, er höchstselbst habe dem SWC den Tipp mit Augstein gegeben, weit von sich weist). Die Aufnahme Augsteins in die Liste sei ja auch deshalb erfolgt, weil der Beschuldigte in einem Artikel ultraorthodoxe israelische Juden mit islamischen Fundamentalisten verglichen habe. Diese Gruppe, die in Israel rund zehn Prozent der Bevölkerung stelle, werde von Augstein unzulässigerweise mit »islamischen Extremisten, ... deren wesentlicher Beitrag zur Welt aus Selbstmordbombenanschlägen, Extremismus und Hass besteht«, in einen Topf geworfen, kritisiert Abraham Cooper.

Eine merkwürdige Gleichung: Fundamentalist gleich mordender Extremist. Würde sie stimmen, dann könnte unsereiner keinen Schritt mehr vor die Tür machen, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben.

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